Diese sieben EU-Länder erschüttern die EU
Im Streit um den Rechtsstaat und das EU-Budget haben sich die Fronten verhärtet. In Brüssel ist schon von einer “Systemkrise” die Rede, es werden “Nuklearoptionen” erwogen. Tatsächlich ist die Lage ernst – aber nicht nur wegen Ungarn und Polen.
Die beiden rechtsnational regierten EU-Länder haben einen Bundesgenossen gefunden: Slowenien. Dessen Premier Jansa hatte vor einer Woche US-Präsident Trump zu seiner vermeintlichen Wiederwahl gratuliert; nun springt er dem ungarischen Regierungschef Orban bei.
Orban wiederum weitet den Streit massiv aus. Er behauptet, in Wahrheit gehe es gar nicht um den Rechtsstaat, sondern um die Migration. Man wolle jenen EU-Ländern das Geld kürzen, die sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aussprechen. Dahinter soll der Investor G. Soros stecken – wie immer, wenn Orban sich verrannt hat.
Wir haben es hier mit einer üblen Mischung aus wahrheitswidrigen, antisemitischen und rechtspopulistischen Behauptungen zu tun. In Orbans Worten kommt alles wieder hoch, was schon Ex-Kommissionschef Juncker vor der Europawahl 2019 ertragen mußte.
Allerdings wäre es zu einfach, nur Orban die Schuld an dieser “Systemkrise” zu geben und gleich die “Nuklearoption” – also den Entzug des Stimmrechts für Ungarn – zu ziehen. Mitschuld tragen auch Brüssel und Berlin, die den Streit jahrelang verdrängt und vor sich hingeschoben haben.
Und neben den drei “Rechtsstaats-Verweigerern” Ungarn, Polen und Slowenien gibt es noch vier weitere Länder, die die EU in diesem Jahr beinahe zum Scheitern gebracht hätten. Die Rede ist von den “Frugal four”, die sich gegen den neuen Corona-Aufbaufonds gesträubt haben.
Mit ihrem Widerstand hätten die Vier, also Dänemark, Österreich und Schweden, angeführt von den Niederlanden, fast den EU-Gipfel im Juli platzen lassen. Frankreichs Staatschef Macron mußte erst der Kragen platzen, bis die “Frugal” sich endlich auf ernsthafte Verhandlungen einließen.
Und nun sind es wiederum die Niederlande, die jede Konzession im Streit um den Rechtsstaat ablehnen. Damit macht der rechtsliberale Premier Rutte der amtierenden EU-Ratsvorsitzenden, Kanzlerin Merkel, erneut das Leben schwer.
Denn Merkel würde, wenn sie könnte, nur allzu gern zum ursprünglichen Vorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft zurückkehren. Der hatte den Rechtsstaats-Mechanismus so weich gespült, dass nicht einmal Orban dagegen aufmuckte…
Siehe auch “Der Gipfel des Frusts”
European
20. November 2020 @ 15:41
Wolfgang Münchau von eurointelligence.com macht den sehr interessanten Vorschlag, die Rückzahlung der EU-Darlehn aus dem EU-Budget herauszunehmen. Damit wäre der Blockadehaltung von Polen und Ungarn der Boden entzogen.
Siehe hier: How to solve the budget impasse, 18.November 2020
https://www.eurointelligence.com/
ebo
20. November 2020 @ 15:58
Danke für den Hinweis. Es gibt mehrere ähnliche Vorschläge. Sie haben alle den Haken, dass dann EU-Kommission und Europaparlament draußen sind. Außerdem ist unklar, wo das Geld herkommen soll. Bisher soll der Corona-Fonds ja aus den Eigenmitteln für EU-Budget finanziert werden. Löst man den Fonds aus diesem Rahmen, ist auch kein Geld fürs Schuldenmachen mehr da…
European
21. November 2020 @ 11:55
Damit haben Sie sicher recht.
Es gäbe aber durchaus Möglichkeiten, z.B. über eine EU-weite Wealth-Tax oder aber die schon lange geplante Finanztransaktionssteuer.
Soweit ich weiß hat Deutschland beides blockiert.
ebo
21. November 2020 @ 12:28
Absolut. Das wird die nächste große Debatte in der EU 🙂
Kleopatra
19. November 2020 @ 22:47
Wollen wir vielleicht nicht vergessen, dass Spanien versucht, Abgeordnete des Europäischen Parlaments über europäische Haftbefehle einzuknasten. Merkwürdige Auffassungen vom Rechtsstaat sind keine osteuropäische Spezialität.
Was Soros betrifft, ist er einerseits nicht nur Investor, sondern auch Spekulant (und mit seiner Spekulation gegen das Pfund dürfte er – wenn auch mit starker Verzögerung zum „Brexit“ beigetragen haben); allerdings ist auch seine Philanthropie eine nicht unproblematische Sache. Seine Stiftungen stellen in manchen mittel/osteuropäischen Ländern einen Löwenanteil der nicht vom Staat finanzierten Ausgaben; und dadurch hat er Macht, egal ob er sich nach ihr drängt oder sie bewusst beansprucht.
ebo
19. November 2020 @ 22:59
Ja, bei den Rechtsstaats – Problemen gehört Spanien auf jeden Fall auf die Liste. Aber Spanien hat sich noch nie gegen einen EU Deal gestellt, sogar in der Eurokrise hat Madrid klaglos mitgespielt…
Fidas
20. November 2020 @ 16:07
Kann ich nicht folgen : Spanien wird für seine Rechtsstaatsverletzungen (Katalonien) nicht sanktioniert als Ausgleich für dessen anstandslose Hinnahme der Eurokrise-Maßnahmen ?
Also wären Polen und Ungarn z.B. doch bereit (christliche !) Flüchtlinge aufzunehmen, könnten sie unsanktioniert ihre bisherige Rechtsstaatlichkeit verletzende Politik fortsetzen.
Frau Merkel könnte so etwas schon richten !
ebo
20. November 2020 @ 17:32
Es ging in dem Post um die Frage, wer sich bei Merkels Finanzpaket querstellt. Das waren erst die Frugal four, nun sind es die rechten Drei.
Spanien hat sich nie quergestellt.
Davon völlig unahängig ist die Frage zu beurteilen, welche EU-Staaten Probleme mit dem Rechtsstaat haben.
Dazu gabe es auch schon einige Posts, z.B. hier