Merkel kämpft nicht, Maas reüssiert nicht – und Corona bremst den Brexit-Deal

Die Watchlist EUropa vom 20. November 2020. –

Waren es nun 16 Minuten, oder doch vielleicht 25? Es waren jedenfalls äußerst kurze Beratungen, die Kanzlerin Merkel und Ratspräsident Michel beim Videogipfel am Donnerstagabend auf DAS Problem der EU verschwendeten.

Ungarn und Polen blockieren das 1,8 Billionen Euro schwere “historische” Finanzpaket (und damit auch den Corona-Aufbaufonds) – weil sie den neuen Rechtsstaats-Mechanismus ablehnen, der zu Kürzungen bei den EU-Geldern führen könnte.

Eile ist geboten, heißt es in Brüssel, denn Krisenländer wie Italien, Spanien oder Frankreich warten händeringend auf die nicht rückzahlbaren Milliarden-Zuschüsse aus dem Coronafonds, Rom hat sie sogar schon fest eingeplant.

Doch statt wie eine Löwin für ihren Deal zu kämpfen und den Streit auf dem Videogipfel auszutragen, hat Merkel… gemerkelt. Der Konflikt wurde vertagt, man könnte auch sagen unter den Teppich gekehrt.

Schon vor dem virtuellen Treffen hatte die Kanzlerin die Parole ausgegeben, still zu halten und den Streit nicht eskalieren zu lassen. Italien, Sapnien und Frankreich wurden gebeten, sich zurückzuhalten.

Eine Videokonferenz sei nicht das richtige Format, um den komplizierten Streit beizulegen, hieß es. Ratschef Michel habe alle Länder vorab kontaktiert, um die Diskussion “unter Kontrolle” zu halten – ganz wie von Merkel gewünscht.

Doch was will sie damit erreichen? Versucht sie, den ungarischen Regierungschef Orban zu isolieren? Will sie die Kritik aus Warschau an dem “deutschen Diktat” unter dem Deckel halten? Plant sie einen Befreiungsschlag, vielleicht zulasten des EU-Parlaments?

Wir wissen es nicht, denn der deutsche EU-Vorsitz lässt sich nicht in die Karten blicken. Und in Brüssel sind die meisten Quellen versiegt – teils wegen der Corona-Beschränkungen, teils auch, weil alle Entscheidungen im Berliner Kanzleramt fallen.

Die gute Absicht, die Coronahilfe mit einem Rechtsstaatsmechanismus zu verbinden, ist zur Falle geworden. Die Coronahilfe kann nicht ausgezahlt werden.

Ch. von Marschall im “Tagesspiegel”

Klar ist nur eins: Merkels Strategie, das neue EU-Budget, den Corona-Aufbaufonds und den Rechtsstaats-Mechanismus in einem Paket zu verhandeln und auch gemeinsam durchzubringen, ist krachend gescheitert. Nun hängt alles am Rechtsstaat, ausgerechnet.

Denn eigentlich sollte der doch außer Frage stehen. Recht und Gesetz sind Grund-Bedingungen, um der EU beizutreten. Wer dies nicht beachtet, hat im europäischen Club nichts zu suchen. Von Finanzsanktionen hingegen steht nichts im EU-Vertrag.

Aber Merkel hat alles miteinander vermischt und als Wohlfühl-Packung verkauft – wohl in der Hoffnung, dass die Gier nach den EU-Milliarden am Ende auch Orban “überzeugen” würde. Da hat sie sich offenbar getäuscht.

Die viel gelobte “Krisen-Managerin” hat die EU in ihre bisher wohl tiefste Krise geführt – und eine Lösung ist nicht in Sicht…

Siehe auch “Diese sieben EU-Länder erschüttern die EU” und “Merkel und Orban – ein kritisches Dossier

Watchlist

Gegen wen oder was muß sich die EU verteidigen? Darüber wollen am Freitag die Verteidigungsminister sprechen. Sie haben eine gemeinsame Bedrohungsanalyse in Auftrag gegeben, den sogenannten “Strategischen Kompass”. Doch nicht einmal der deutsche EU-Vorsitz will verraten, was darin steht. Ist Russland weiter der Bösewicht? Was ist mit der aggressiven Türkei? Und wie steht es um “hybride Bedrohungen”, etwa aus China? Bisher ist es top secret – vielleicht sickert ja nun etwas durch…

Was fehlt

Die nächsten EU-Sanktionen gegen Belarus. Diesmal geht es gegen Unternehmer und Firmen, wie der EU-Außenbeauftragte Borrell sagte. Außenminister Maas sagte in beleidigtem Unterton, Strafmaßnahmen gegen die “Machtclique rund um Lukaschenko” seien ein geeignetes Mittel, um den Druck zu erhöhen. Leider sagte der SPD-Politiker nicht, dass die bisherigen Sanktionen keinerlei Wirkung erzielt haben. Auf Nachfrage kann die EU nicht einmal erklären, welche Konten der “Machtclique” eingefroren wurden…

Das Letzte

Auf der Zielgeraden sind die Brexit-Gespräche schon wieder unterbrochen worden, und schon wieder wegen Corona. EU-Verhandlungsführer Barnier sagte, ein Mitglied seiner Delegation sei positiv auf das Virus getestet worden. Daher würden die Gespräche mit der britischen Delegation unter Frost “für eine kurze Zeit” unterbrochen. Barnier musste selbst schon einmal wg. COVID-19 aussetzen. Eigentlich wollte die EU bis gestern (Donnerstag) einen Deal. Nun nennt man nicht mal mehr eine Deadline…

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