Streit mit der WHO, Flirt mit Russland – und der Schatten von Nawalny

Die Watchlist EUropa vom 02. Februar 2021 –

Im Streit um die schleppende Versorgung mit Impfstoffen hat sich Brüssel mit der Weltgesundheitsorganisation WHO angelegt. Gleichzeitig geht die EU auf Russland zu – in der Hoffnung, im Notfall auch dort Vakzine beschaffen zu können.

Auslöser ist die Entscheidung in Brüssel, Ausfuhr-Beschränkungen für Impfstoffe zu verhängen. Das sei ein „Besorgnis erregender Trend“, sagte Mariangela Simao, der bei der WHO für Medikamente und Impfstoffe zuständig ist.

Die Impfstoffe müssten weltweit fair verteilt werden, verlangte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. “Impfstoff-Nationalismus dient vielleicht kurzfristigen politischen Zielen. Aber das ist kurzsichtig und geht nach hinten los.”

Die Pandemie müsse überall gleichzeitig bekämpft werden. “Wenn ein Dorf in Brand steht macht es keinen Sinn, dass eine kleine Gruppe alle Feuerlöscher hortet, um ihre eigenen Häuser zu schützen.“

Auf Nachfrage erklärte der Chefsprecher von Kommissionspräsidentin von der Leyen, die EU stehe weiter uneingeschränkt zur WHO und ihren Zielen. Die Kritik aus Genf habe man „zur Kenntnis“ genommen, so der Sprecher weiter.

Abkehr vom Freihandel?

Es gehe bei der neuen Exportbremse nicht um Verbote, sondern um eine „transparente und ausgewogene“ Versorgung mit Impfstoffen. Kritiker sprechen dagegen von einem gefährlichen Präzedenzfall, der eine neue Welle des Protektionismus auslösen könne.

Exportbeschränkungen können politische und wirtschaftliche Folgen haben“, warnt der Chef des Handelsausschusses im Europaparlament, Bernd Lange. Die Maßnahme könne einen Dominoeffekt auslösen „nach hinten losgehen, wenn andere Länder sie ebenfalls einführen“.

Bisher hat die EU stets freien Handel gepredigt und Ausfuhrbeschränkungen verurteilt. Doch angesichts der Coronakrise scheint sie diese marktliberalen Prinzipien zu vergessen. Eine Kehrtwende zeichnet sich auch im Umgang mit Russland ab.

Gespräche mit Russland

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Die dort entwickelten Corona-Impfstoffen waren der EU bisher nicht der Rede wert. Man setzte ausschließlich auf Biontech/Pfizer & Co. Doch am Montag räumte die EU-Kommission ein, dass es Gespräche mit dem Hersteller in Russland gebe.

Auch die Bundesregierung zeigte sich offen für die Einfuhr von russischen Vakzinen. Allerdings müsse zuvor eine Zulassung durch die Europäische Arzneimittelbehörde vorliegen, heißt es in Berlin.

Kanzlerin Merkel hat sich schon eingeschaltet – wie immer, wenn es um wichtige EU-Themen geht…

Siehe auch Impfstoff-Krise: Merkel erwägt Deal mit Putin und “Neue Details zu Merkels Rolle beim Impfdebakel”

Watchlist

Kommt Kremlgegner Alexej Nawalny frei – oder droht ihm eine lange Haftstrafe? Ein Moskauer Gericht will am Dienstag entscheiden, ob eine Bewährungsstrafe aus einem früheren Strafverfahren von Kremlkritiker Alexej Nawalny in eine richtige Haft umgewandelt wird. Nawalny war nach seiner Rückkehr nach Russland am 17. Januar zunächst für 30 Tage inhaftiert worden, weil er gegen Meldeauflagen verstoßen haben soll, während er sich in Deutschland von einem Giftanschlag erholte. Sollte Nawalny in Haft bleiben, so dürfte die EU neue Sanktionen auf den Weg bringen. Das könnte auch für Deutschland zum Problem werden… (siehe unten)

Hotlist

  • Das umstrittene Pipeline-Projekt Nord Stream 2 sorgt für frischen Ärger zwischen der Bundesregierung und einem mächtigen europäischen Partner: Aus Frankreich kommt die unmissverständliche Forderung, den Bau zu stoppen. Grund für die Ansage der Franzosen: der Umgang des Kreml mit Alexej Nawalny. Der Bericht von n-tv dürfte in Berlin alle Alarmglocken klingen lassen. Denn bisher hält Kanzlerin Merkel unbeirrt an der Pipeline fest…
  • Die EU zahlt mehr als 300 Millionen für die Überwachung mit Drohnen, meldet “Netzpolitik”. Bereits sei vier Jahren fliegen unbemannte Systeme im Regelbetrieb für die Agenturen der EU. Jetzt erhalten auch einzelne Regierungen Gelder für Drohnen an ihren Grenzen. Demnächst könnten dort sogar ferngesteuerte Patrouillenboote eingesetzt werden. – Die Festung EUropa setzt auf neue Technologie – und Brüssel fördert das nach Kräften…
  • Die Corona-Ampel in Italien schaltet in weiten Teilen des Landes von „orange“ auf „gelb“ und macht Restaurants- und Museumsbesuche wieder möglich. Die Öffnung der Ski-Gebiete ist für Mitte Februar geplant. Dies meldet die “FAZ”. Bemerkenswert: Die Corona-Fallzahlen sind in Italien nicht niedriger, sondern eher höher als in Deutschland. Offenbar haben die Italiener eine andere, großzügigere Ampel – hoffentlich geht das gut!