Sinn redet wie Varoufakis – fast
Ifo-Chef Sinn ist zu Besuch in Brüssel – und fordert wie gewohnt den Austritt Griechenlands aus dem Euro. Er sagt aber auch überraschende Dinge, z.B. über Finanzminister Varoufakis.
Der griechische Starökonom liege zwar falsch, wenn er die Krise auf die Austeritätspolitik der Eurogruppe schiebt – schuld seien die Märkte. Doch sonst gibt Sinn ihm in vielem recht.
Dass Athen seit fünf Jahren bankrott sei sagt er ebenso wie, dass nur noch ein Haircut helfen könne. “Griechenland braucht einen tiefen Schuldenschnitt”, so Sinn.
Vor allem aber lobt Sinn den taktischen Sinn seines Kollegen. Die Zeit spiele für Griechenland, da die Kapitalflucht zu Lasten der Gläubiger gehe und einen Grexit immer teurer mache.
Er sei daher nicht der Meinung, dass Varoufakis nichts von Politik verstehe, ganz im Gegenteil: “Er ist ein sehr sehr guter Politiker!” – Mehr zum Schuldendrama in Griechenland hier
Peter Nemschak
10. Juni 2015 @ 15:03
@ebo In diesem Punkt bin ich bezüglich der Einschätzung von Sinn skeptisch. Zuerst würde ein Grexit einen weiteren wirtschaftlichen Einbruch versuchen, danach wahrscheinlich einen kurzen kräftigen Aufschwung. An der strukturellen Rückständigkeit des Landes würde ein Grexit nichts ändern. Die behaupteten Substitutionseffekte setzen voraus, dass es ein gut ausgebaute inländische Industrie gibt, welche von einer Abwertung profitieren würde. Haben Sie schon je von griechischen dauerhaften Konsumgütern gehört? Das war ein wesentlicher Grund, warum die Austeritätspolitik so schlecht gegriffen hat.
Peter Nemschak
10. Juni 2015 @ 12:44
@GS Wann wäre ein Grexit ohne (großes) Risiko auf Ansteckung im Sinne der Funktionsfähigkeit des europäischen Finanzsystems verantwortbar gewesen? Die Instrumente, dass Banken in Zukunft auf eigenen Beinen stehen müssen ohne den Steuerzahler im Schadensfall zu belasten, gibt es erst seit kurzem, ihr finanzieller Aufbau ist erst im Gange. Der Sündenfall ist bei der Konstruktion des Euro passiert. Er war ein politisches und kein ökonomisches Projekt und sollte die Integration Europas voran bringen. Das war ein zumindest teilweiser Fehlschluss. Profitiert haben im wesentlichen stark außenhandelsabhängige Ökonomien wie Deutschland, Österreich und die Beneluxstaaten. Auch ein Grexit wäre für Griechenland langfristig keine Wohlstandsgarantie, auch wenn er mittelfristig nach anfänglichen Turbulenzen und Abwärtsbewegungen helfen würde. Langfristig bedarf Griechenland einer durchgreifenden Modernisierung seiner Gesellschaft, was ein Mentalitätsänderung voraussetzen würde. Vielleicht gibt es dazu Ansätze in der Gesellschaft der 20-30 Jährigen.
ebo
10. Juni 2015 @ 13:08
Das sieht Sinn anders. Er prophezeit Griechenland einen Boom nach dem Exit, denn teure Importe würden durch inländische Produkte substituiert.
GS
10. Juni 2015 @ 11:46
Das ist ja nun mein Argument seit langem: Je länger sich das mit dem Grexit zieht, umso teurer wird er. Genauso wie die Abwicklung der gesamten Eurozone. Aber man verschleppt und verschleppt und verschleppt…
Im Übrigen halte ich V. auch für keinen schlechten Politiker. Allein schon das Echo, das er bei anderen Politikern und in den Medien auslöst, spricht Bände. Er scheint da einen Nerv zu treffen…
Peter Nemschak
10. Juni 2015 @ 09:39
Da spricht das Zünftlerische aus Sinn, Zunft im Sinne der ökonomischen Zunft. Dass Griechenland einen Schuldenschnitt braucht, liegt auf der Hand, ebenso, dass tiefgreifende Reformen notwendig sind. Sinn, dem das Politische nicht fremd ist, weiß, dass solche tiefgreifenden Reformen nur unter (finanziellem) Druck, wenn überhaupt, möglich sind. Sonst wären sie schon längst gegen die tief verwurzelten Interessen in der griechischen Gesellschaft erfolgt. Auch ein Grexit ist m.E. keine Garantie, dass die Reformen kommen werden. Sobald es dem Land etwas besser geht, sind alle guten Vorsätze vergessen. Dass Konkursverzögerung stets zu Lasten der Gläubiger geht – weil die Schulden ständig wachsen und zuletzt dennoch abgeschrieben werden müssen – weiß Varoufakis so gut wie jeder, der im Finanzgeschäft gearbeitet hat. Privatwirtschaftlich interessierte Gläubiger haben schon längst ihre Griechenlandpapiere an die Steuerzahler verkauft.