Sehenden Auges in den Krieg

Uno-Generalsekretär Guterres hat davor gewarnt, dass die Welt sehenden Auges in einen großen Krieg schlittern könne. Beim EU-Gipfel mit Präsident Selenskyj in Brüssel konnte man “live” erleben, wie das möglich wird.

“I fear the world is not sleepwalking into a wider war. I fear it is doing so with its eyes wide open.”

António Guterres

Es war ein schöner Tag in Brüssel. Die Sonne schien, die Stimmung im Europaviertel war gut, der Empfang für Wolodymyr Selenskyj eines Superstars würdig. Kaum war er angekommen, rissen sich alle um ihn.

Doch das Thema war ernst, todernst. Russland führe einen „totalen Krieg“, sagte Selenskyj im Europaparlament. Gemeinsam müsse man den „historischen Kampf“ gegen Russland zu Ende führen. “Nur unser Sieg wird den Erhalt unserer europäischen Werte garantieren“.

Beifall. Jubel. “Slawa Ukrajini”-Rufe. Aber kein Widerspruch. Nicht ein Wort der Kritik. Im Gegenteil: Parlamentspräsidentin Metsola fordert noch mehr Waffen. Die EU-Staaten müssten “Langstreckensysteme und Kampfjets” liefern, aber schnell.

Derselbe Ton im Ratsgebäude. “Jetzt ist es an der Zeit, klar zu sein und an der Zeit, maximale Unterstützung bereitzustellen”, sagt Gipfelchef Charles Michel. “Lang lebe Europa, slawa Ukrajini”, ruft Kommissionspräsidentin von der Leyen.

Beifall im Pressesaal. Von der Leyen umarmt Selenskyj, Michel geleitet ihn hinaus. Beide EU-Chefs haben sich mit ihren Treueschwüren und Hilfsversprechen überboten, wie immer. “Sie liefern sich einen Schönheitswettbewerb”, spottet ein Diplomat.

Aber kein Wort der Kritik. Nicht einmal eine Frage. Ist dieser Krieg überhaupt zu gewinnen? Und wenn ja, wie sieht die Strategie aus? Will Selenskyj mit europäischen Waffen die Krim befreien? Und wo endet der Krieg – in Sebastopol oder in Moskau?

Nichts. Nach der Pressekonferenz führt Selenskyj bilaterale Gespräche mit den Staats- und Regierungschefs. Vier Gruppen werden gebildet. Aber eine gemeinsame Aussprache zur EU-Strategie, zu den europäischen Interessen und roten Linien gibt es nicht.

So sieht es also aus, wenn man einen großen Krieg vorbereitet. “Europas Krieg”. Alle schreien hurra, niemand stellt Fragen, Bedenken werden in Kleingruppen kleingeredet. Am Ende steht die nächste Eskalation. Sage niemand, man habe es nicht wissen können…

Mehr zum Krieg in der Ukraine hier. Leseempfehlung: “We are already at war with Russia

P.S. Nur einer hat sich dem Selenskyj-Hype beim EU-Gipfel entzogen: Ungarns Orban. Dafür trendet sein Name nun bei Twitter. Ich wünschte, es gäbe auch noch liberale und linke Politiker, die nicht klatschen, wenn es um Krieg geht…