„Schlimmer als die 30er“
Die aktuelle Wirtschaftskrise in Europa ist schlimmer als in den 30er Jahren. Dies sagt kein Grieche oder Franzose, sondern der amtierende polnische Finanzminister. Auch sein Vorschlag zur Abhilfe hat es in sich.
Nötig sei ein Investitionsprogramm von 700 Milliarden Euro oder 5,5 Prozent des BIP, sagte Finanzminister M. Szczurek in Brüssel. „Wir stehen am Rand der Deflation, die Krise ist schlimmer als in den 30er Jahren.“
Schon jetzt erlebe Europa ein „verlorenes Jahrzehnt“ – genau wie Japan in den 90er Jahren. Wenn die EU nicht entschieden gegensteuere, drohe nun auch noch eine „verlorene Generation“.
Diese Analyse ist bemerkenswert, denn Polen gehört nicht dem Euro an, und von Krise ist in Warschau bisher nicht viel zu spüren. Doch auf Dauer könne sich auch sein Land nicht dem Abwärtstrend entziehen, so Szczurek.
Die EU müsse schnell und entschieden handeln. Es reiche nicht aus, sich allein auf die Europäische Investitionsbank (EIB) zu verlassen, wie dies Kanzlerin Merkel wünscht.
Vielmehr schlug Szczurek vor, eine neue Institution nach dem Muster des Euro-Rettungsfonds ESM aufzubauen. Der „Europäische Investitionsfonds“ soll sich das Geld auf den Finanzmärkten ausleihen, was angesichts der Nullzinsen praktisch kostenlos sei.
Mit dem Geld sollten neue Stromtrassen, Breitbandkabel und gemeinsame Rüstungsprojekte finanziert werden. Die dafür nötige Neuverschuldung soll nicht in die Defizitberechnung eingehen.
Mit Tusk abgesprochen?
In Brüssel geht man davon aus, dass Szczurek seinen Vorschlag mit dem polnischen Premier Tusk abgesprochen hat. Tusk wechselt im Dezember als EU-Ratspräsident nach Brüssel – und kann dort wichtige Impulse geben.
Allerdings dürfte er auf Widerstand aus Berlin stoßen, denn Merkel lehnt bisher jeden wirtschaftspolitischen Kurswechsel in der Eurozone ab.
An ihrem Starrsinn haben sich schon Frankreichs Staatschef Hollande, EZB-Chef Draghi und der amtierende EU-Ratspräsident Renzi die Zähne ausgebissen…
Siehe zu diesem Thema auch „Investitionen? Parlare!“ und „Europe is in a mess“
winston
9. September 2014 @ 12:41
Grotesk das ausgerechnet ein Schweizer über Keynes jammert.
https://twitter.com/Frances_Coppola/status/507559368100167682
GDP Japan
http://www.tradingeconomics.com/japan/gdp
GDP Euro-Zone
http://www.tradingeconomics.com/euro-area/gdp
GDP Polen
http://www.tradingeconomics.com/poland/gdp
GDP USA
http://www.tradingeconomics.com/united-states/gdp
Andres Müller
8. September 2014 @ 23:13
Im Prinzip gehe ich mit Szczurek einig. Doch fraglich ist der Schwerpunkt solcher Investitionen in die Zukunft. Von Rüstung will ich nichts wissen, stattdessen Forschung, Bildung und auch Raumfahrt -Projekte. Ich bin der Meinung das wir zu wenig Arbeit haben und das es durchaus möglich ist die fehlenden Arbeitsstellen im Interesse der Öffentlichkeit neu zu schaffen. Kulturprojekte und Investitionen in die zum Teil baufällig gewordenen Strukturen. Vor allem braucht es Arbeitsstellen im Sozialbereich, etwa den Aufbau von Einrichtungen für Kinder und Jugendliche. Der Mangel an eigenen Kindern ist kein Zufall, das geht einher mit der lebensfeindlicher gewordenen Kommerzialisierung der Gesellschaft.
Johannes
8. September 2014 @ 19:35
„Vielmehr schlug Szczurek vor, eine neue Institution nach dem Muster des Euro-Rettungsfonds ESM aufzubauen.“ – ein weiterer Terroranschlag auf Deutschland. Die EZB will sowas doch in 2 Monaten auch durchführen, da braucht man doch nicht gleich 2 Terroranschläge fordern, einer von CDU, SPD, Grüne und EZB reicht doch aus 😉
MacPaul
8. September 2014 @ 13:00
@ Tim: neoliberale Politik als Erfolg, ja? Was rauchst du so? Die gesamte Politik der BRD und in der EU ist neoliberal und ein super Erfolg. Das, was in Japan passiert ist, hat sowohl mit Keynes als auch mit neoliberal nix zu tun. Das kommt davon, wenn man ahnungslos ist aber trotzdem mit Begriffen um sich wirft. Davon abgesehen könntest du jederzeit für die INSM agitieren, Abteilung ahnungsloser, proletarischer, deutscher Volksangehöriger, der mit seinem aufgeschnappten Anti-Wissen hausieren geht.
Tim
8. September 2014 @ 14:26
@ MacPaul
Danke für Deine Analyse. Du hast allerdings noch etwas vergessen: Ich fresse auch Kinder, schände Hostien und gebe Pfandflaschen nicht zurück.
Falls Du Dich trotz Deiner Tirade einmal informieren möchtest:
http://de.wikipedia.org/wiki/Deflation#Rezession_in_Japan_1990er_Jahre_.28auch_als_.E2.80.9EVerlorene_Dekade.E2.80.9C_bezeichnet.29
http://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaft_Polens#.C3.9Cbergang_von_der_Planwirtschaft_zur_Marktwirtschaft
Polen gilt heute allgemein als der erfolgreichste Reformstaat, Japan hingegen als großer Verlierer der letzten 25 Jahre.
Freiberufler
8. September 2014 @ 09:55
Früher wurden nur Kommissionen gegründet. Heute muss es gleich ein Fonds mit mindestens 0,7 Billionen Volumen sein sein. Für den Rest ist die Propaganda zuständig.
Tim
7. September 2014 @ 20:18
@ ebo
Szczurek weiß offenbar nicht, wovon er redet. Nicht sonderlich hoffnungsfördernd, daß man in den Medien mit solchem Bullshiut immer und immer wieder durchkommt.
Kleine Richtigstellung:
Als „Verlorene Dekade“ gilt in Japan die Zeit ab Anfang der 90er (und im Grunde sind es ja sogar 2 verlorene Dekaden). Zur Erinnerung: Die japanische Regierung reagierte genau so auf die Krise, wie es Szczurek und andere Spaßvögel jetzt fatalerweise für ganz Europa fordern: mit Konjunkturprogrammen und billigem Geld. Gebracht hat es – natürlich – nichts.
Mit noch mehr Geld kann man keine Probleme lösen, die durch zuviel Geld entstanden sind.
ebo
7. September 2014 @ 22:43
@Tim
Schön, das Du wieder Merkel verteidigst, wie eigentlich immer. Aber bevor Du anderen den Sachverstand absprichst, lies bitte Draghis Jackson Hole Rede, oder auch Junckers Arbeitsprogramm. Er fordert 300 Mrd. Investitionen…
Selbst das DIW ist mit 180 Mrd. dabei: http://www.diw.de/de/diw_01.c.469156.de/themen_nachrichten/mit_wachstum_aus_der_krise_diw_berlin_schlaegt_europaeischen_investitionsfonds_vor.html
Tim
7. September 2014 @ 23:03
@ ebo
Ich lese Dein Blog wirklich gern, aber zu den unschönen Aspekten gehört, daß einem hier oft Dinge unterstellt werden, die man nie gesagt hat. Vielleicht kannst Du das noch abstellen.
Ich habe nicht Merkel verteidigt, sondern Szczurek kritisiert, der erkennbar keine Ahnung von den japanischen Problemen seit 25 Jahren hat. Leider schlägt er für Europa genau DAS Rezept vor, das Japan erst richtig in die permanente Krise gestürzt hat. Als Journalist solltest Du skeptisch werden, wenn ein Mann in einer solchen Position sich nachprüfbar falsch über die Vergangenheit äußert.
Noch einmal ganz langsam zum Mitschreiben und Mitdenken: Staatliche Investitionen sind immer dann gut, wenn sie nötig sind und man sie tätigt, weil man neue Straßen, Schulungen, Leitungen oder was auch immer braucht. Wenn man sie nur tätigt, weil man Geld ausgeben möchte, sind sie Irrsinn und im Prinzip bloß ein weiteres Geschenk an alte Freunde in den begünstigten Unternehmen.
Die bizarre Logik der Geldrausschmeißer ist ja: Wir bauen in Portugal noch einen weiteren Autobahnanschluß, dann werden die Investoren schon kommen und mit ihnen auch die Arbeitsplätze. Was natürlich vollkommener Quark ist.
ebo
8. September 2014 @ 09:05
@Tim
Das ist doch Schnee von gestern. Du führst immer noch die uralte Anti-Keynes-Debatte. Dazu sagt Szczurek, letztlich sei egal, was mit dem Geld gemacht wird – Hauptsache, es wird nicht noch mehr Arbeitskraft entwertet. Viel interessanter finde ich seinen Vergleich mit den 30ern (massive historische Implikationen, man denke nur an den Ukraine-Krieg) sowie den Rat, Investitionen aus der Defizitberechnung herauszunehmen (massive Breitseite gegen Berlin)
Tim
8. September 2014 @ 09:23
@ ebo
Seufz … Schauen wir doch wie immer einfach mal in die Realität und vergleichen zwei Länder, die Szczurek ja offenbar bekannt sind:
Japan, 20 Jahre Keynes: ein Jammer.
Polen, 20 Jahre (halbwegs) neoliberale Politik: ein Riesenerfolg.
Daran, daß die Polen mehr Fleisch als die Japaner essen, wird es nicht gelegen haben.
Marcel
7. September 2014 @ 19:56
Und wer soll den bitte diesen ganzen Spaß bezahlen? Ich würde mal sagen zu 80% Deutschland. Das wird niemals umgesetzt, da Frau Merkel lieber auf ihre „heilige“ neoliberale Politik weiterhin festhält. Falls Polen Probleme hat Geld zu bekommen, hier ein Tipp von der BRD: Spart euch kaputt, dann geht es wieder!
DerDicke
8. September 2014 @ 08:58
Warum bezahlen? Das Geld wird frisch gedruckt.
Inflation ist das Ziel, schon vergessen?
e.c.
7. September 2014 @ 17:08
das hört sich doch sehr nach krugman an
ebo
7. September 2014 @ 17:46
Krugman hatten wir hier noch nicht, aber Stieglitz: https://lostineu.eu/saving-broken-euro/
e.c.
7. September 2014 @ 18:38
Es war nur ein link – nicht Krugman selbst – zu
http://www.washingtonpost.com/blogs/wonkblog/wp/2014/08/20/worse-than-the-1930s-europes-recession-is-really-a-depression/
Die Grafik ist wahrscheinlich auch in Warschau bekannt.