Der Preis der Sanktionen, Deutschland wird Kriegspartei – und UK bricht Brexit-Regel

Die Watchlist EUropa vom 29. April 2022 –

Zwei Monate dauert nun schon der Wirtschaftskrieg der EU gegen Russland. Die Sanktionen haben in Moskau immer noch nicht die gewünschte Wirkung gezeigt, weshalb die EU bereits das 6. Strafpaket plant. In der nächsten Woche sei ein Öl-Embargo fällig, heißt es in Brüssel.

Doch während die EU noch Optionen prüft, fährt Russland schon den Gewinn ein. In den Wochen seit Beginn des Krieges hat das Land seine Einnahmen aus Gas, Öl und Kohle fast verdoppelt, wie der “Guardian” meldet. Der Krieg und die Strafmaßnahmen haben die Preise getrieben.

Auch politisch fällt ein (kleiner) Gewinn ab. Mit dem Gas-Lieferstopp in Polen und Bulgaren ist Präsident Putin ein Coup gelungen, der in Brüssel für erhebliche Verunsicherung sorgt. Zwei Länder wurden abgestraft, weil sie nicht in Rubel zahlen wollen, die EU ringt immer noch um eine Antwort.

Bisher ist ihr nur eine regionale Einkaufsplattform für Bulgarien eingefallen. This pilot will look at gas and electricity needs, prices and flows, as well as infrastructure aspects, meldet die EU-Kommission. Doch wo sie das Ersatz-Gas auftreiben will, sagt sie nicht. Es wirkt wie lautes Pfeifen im dunklen Wald.

Denn der Markt ist leer gefegt. Polen und Bulgarien können zwar auch ohne Gazprom leben – doch für Deutschland, Österreich und Italien wird es eng. Putins Warnschuß galt vor allem den Großkunden, sie müssen nun zittern – und womöglich bald schon einen hohen Preis für die Sanktionen zahlen.

Die EU kann nur verlieren

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Die EU wird zum Opfer ihrer eigenen Eskalations-Logik. Denn sie ist nun ‘mal auf das billige Öl und Gas aus Russland angewiesen. Wenn Russland die Versorgung unterbricht, leidet die Wirtschaft. Wenn wir die Versorgung kappen – als sog. Sanktion -, leidet sie auch. Es ist eine “lose-lose-Situation”.

Und das ist wohl nur der Anfang. Schon jetzt eilen die Energiepreise von Rekord zu Rekord, die Inflation ist außer Kontrolle. In Deutschland hat sie mit 7,4 Prozent den höchsten Wert seit 1981 erreicht. Das Leben wird fast täglich teurer, die Geldpolitik ist machtlos. Denn die Preise sind Energie-getrieben.

Wenn die EU in dieser kritischen Lage auch noch aus russischem Öl aussteigt, dann gießt sie wortwörtlich Öl ins Feuer. Die OPEC wird nicht einspringen und die Ölproduktion erhöhen, das hat sie schon klargemacht. Die USA haben bereits ihre Ölreserven mobilisiert, ohne durchschlagenden Erfolg.

Raus aus der Eskalations-Logik

Vernünftiger wäre es, das Ölembargo zurückzustellen und erst einmal die Gasversorgung zu sichern. Die EU könnte in Gespräche mit Gazprom einsteigen und endlich wieder für Versorgungssicherheit sorgen. Damit würde sie deeskalierend wirken und Wirtschaft und Verbrauchern helfen.

Sinnvoll wäre es auch, Moskau einen schrittweisen Rückbau der Sanktionen anzubieten – als Anreiz bzw. Gegenleistung für einen Waffenstillstand und eine Verhandlungslösung. Doch dafür müsste wirtschaftliche Vernunft in EUropa regieren – und nicht Rachsucht und blinde Emotion.

Selbst Kanzler Scholz scheint davor nicht mehr gefeit. Erst bei einem vollständigen Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine könne man über eine Lockerung der Sanktionen reden, sagte er. Damit hat Scholz die wirtschaftliche Entspannung auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben…

Siehe auch “Gas oder Sanktionen” sowie unseren Live-Blog zum Wirtschaftskrieg

P.S. Deutschland muß bis 2030 für russisches Erdgas selbst dann bezahlen, wenn das Gas nicht mehr importiert wird. Grund dafür sind sogenannte Langfristverträge mit Laufzeiten bis zu 30 Jahren, die deutsche Unternehmen mit dem russischen Konzern Gazprom abgeschlossen haben. Das zeigen frontal-Recherchen. Insgesamt geht es um mehr als 140 Milliarden Euro.

Watchlist

Wird Deutschland in den Krieg um die Ukraine gezogen? Der Beschluß des Bundestags, schwere Waffen zu liefern, lässt Schlimmes fürchten. Russland hat mehrfach damit gedroht, ausländische Waffenlieferungen in der Ukraine anzugreifen. Die Ukraine wiederum sagt, sie habe das Recht, auch Ziele in Russland selbst anzugreifen. Zudem will sie alle russisch besetzten Gebiete mit Militärgewalt befreien. Müssen wir uns also auf eine Schlacht mit deutschen Panzern auf der Krim gefasst machen?

Was fehlt

Der nächste Verstoß gegen den Brexit-Vertrag. Großbritannien hat die vollständige Umsetzung der nach dem Brexit in Kraft getretenen Importkontrollen für Waren aus der Europäischen Union erneut verschoben. London sei angesichts der steigenden Energiepreise und des Ukraine-Kriegs zu dem Schluss gekommen, “dass es falsch wäre, Unternehmen neue administrative Anforderungen aufzuerlegen”. Statt wie vereinbart am 1.1.22 sollen die Kontrollen nun frühestens Ende 2023 kommen.