Der Euro hat schon wieder ein Problem
Die Inflation im Euro-Raum ist im Dezember auf ein historisches Rekordhoch gestiegen. Mit 5,0 Prozent lag die Teuerungsrate höher als je zuvor. Doch die EZB greift nicht ein – der Euro hat schon wieder ein Problem.
Zehn Jahre nach der Eurokrise erweist sich die Währungsunion erneut als krisenanfällig. Ausgerechnet die Preisstabilität, die auf deutschen Wunsch als höchstes und letztes Ziel der Gemeinschaftswährung definiert wurde, erweist sich als Achillesferse.
Klar, bisher hat sich der Euro als stabil erwiesen – sogar als stabiler als die DM. Richtig ist auch, dass wir es nicht mit einer “klassischen” Inflation zu tun haben, also einer Lohn-Preis-Spirale. Außerdem braucht der Euro-Raum eine stützende Geldpolitik.
Doch mit der Rekord-Inflation wird es für EZB-Präsidentin Christine Lagarde schwer, ihre extrem lockere Geldpolitik zu rechtfertigen. “Der Inflationsdruck ist hoch”, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. “Worauf wartet die EZB noch?”
Ja, worauf eigentlich? Muß die Inflation noch höher steigen?
Die Frage ist allerdings nicht nur, wann, sondern auch was die Zentralbank tun kann. Einfach an der Zinsschraube zu drehen, dürfte angesichts der komplizierten Gemengelange im Euroraum nicht helfen. Offenbar braucht es neue Instrumente.
Um die Inflation zu senken, müsste die Preisexplosion bei der Energie beendet werden. Auch die Probleme in den Lieferketten rufen nach einer Lösung. Und dann gilt es noch, die Risiken und Nebenwirkungen der Corona-Maßnahmen aufzufangen.
Auf all das ist die Eurozone nicht vorbereitet. Die EZB, aber auch die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten haben es versäumt, die richtigen Werkzeuge bereitzustellen. Bisher waren sie nicht einmal in der Lage, den Stabilitätspakt zu reformieren und den Umgang mit neuen und alten Schulden zu regeln.
Früher oder später dürfte dies zu einer neuen Eurokrise führen. Hoch verschuldete Länder wie Italien oder Griechenland können sich weder eine Rückkehr der alten Schuldenregeln noch höhere Zinsen leisten – denn sie könnten den Schuldendienst nicht mehr zahlen.
Lagarde & Co. stehen vor der Quadratur des Kreises. Sie müssen immer noch den Euro retten, die Konjunktur stützen – und die Preise stabil halten. Vielleicht behaupten sie deshalb so hartnäckig, die Inflation werde im neuen Jahr von selbst wieder zurückgehen…
Siehe auch “EZB: Inflation bleibt, Niedrigzins auch” und “EU-Reform jetzt!?”
P.S. Sowohl bei der Reform des Stabilitätspakts als auch beim Kampf gegen hohe Energiepreise steht übrigens Deutschland auf der Bremse. Seit dem Ende der Merkel-Ära hat sich nichts geändert – außer, dass man die Inflation plötzlich nicht mehr (so) ernst nimmt…
Holly01
8. Januar 2022 @ 18:29
Das ist keine “Inflation”.
Das ist der Verlust von Kaufkraft.
Der Unterschied liegt in der Basis für die Kostensteigerungen bei den Rohstoffen, Zwischenprodukten und Endprodukten bzw. den damit verbundenen Lohnsteigerungen.
Es wird keine Lohnsteigerungen geben.
Die Produzenten im Binnenmarkt könnten die gar nicht weiter geben und würden die Inflation nur beschleunigen.
Die Preise steigen aus politischen Gründen.
Da helfen Lohnsteigerungen überhaupt nicht.
Abgesehen davon würden die wirklichen Opfer dieser Entwicklung nicht von Lohnsteigerungen profitiere.
Prekär Beschäftigte leben immer am Existenzminimum.
Der Rest braucht keine Lohnsteigerungen, weil die schon heute nicht wissen wohin mit dem Geld.
european
8. Januar 2022 @ 19:08
Ja, aber die EZB ist für die Eurozone zuständig und nicht nur für Deutschland.
Die verfehlte Politik spätestens seit der Finanzkrise – eigentlich schon früher – fällt uns allen auf die Füße. Aber darüber spricht man nicht auf Parties. 😉
Finanztechnisch gesehen ist die Eurozone ein einziges Land.
Josef Berchtold
8. Januar 2022 @ 15:32
Es ist naiv zu meinen, höhere Leitzinsen würden die Energiepreise drücken können. Als hätte die EZB einen Einfluss auf die Verkäufer der fossilen Energie-Träger. Die arabischen Hofstaaten benötigen stets steigende Einnahmen für ihre große Prinzenschar und für eine wachsende Bevölkerung, die an viele Wohltaten gewöhnt ist und Importarbeiter für sich arbeiten lässt. Kostet alles täglich mehr Geld und so wird versucht werden, den Öl- und Gaspreis zu erhöhen. Innerhalb der EU kann man als ersten Schritt nur versuchen, den täglichen Verbrauch zu reduzieren, weniger heizen, weniger zu fahren etc.. Danach durch neueste Technik die Verbräuche zu reduzieren, was aber nicht sofort im großen Maßstab umgesetzt werden kann. Man muss diese Art von importierter Inflation leider erst einmal aushalten lernen aber dann mit aller Kraft dagegen vorgehen, durch Technik. Schnellere Abschreibungen könnten dabei enorm hilfreich sein, um Investitionen anzuregen, in neueste Technik.
ebo
8. Januar 2022 @ 15:48
Das ist richtig. Höhere Leitzinsen allein werden diese Krise nicht lösen. Das heißt aber auch, dass die EZB die Kontrolle über die Inflation verloren hat – dabei war die sicherung der Geldwert-Stabilität mal ihre vornehmeste Aufgabe. Und andere, der neuen Lage angepasste geld- oder fiskalpolitische Werkzeuge haben wir nicht. Deshalb spreche ich auch von einem Problem für den Euro.
european
8. Januar 2022 @ 17:10
Es ist ja nicht DIE Inflation, für die die EZB zuständig ist. Aufgabe der EZB ist es, über Geldpolitik die Zielinflation zu erreichen, daher mein posting oben mit den Überschussländern.
Löhne gemäß Produktivität plus Zielinflation. Das ist die Formel, die in der Eurozone vereinbart war und selbst da fehlen der Zentralbank die Instrumente, z.B. entsprechende Sanktionen für derartige Regelbrüche. Siehe als Beispiel das deutsche Lohndumping, was letztlich für die enormen Überschüsse (s.o.) verantwortlich war und auch weiter ist.
Die aktuellen Preissteigerungen müssen von den Ländern selbst bekämpft werden, siehe Beispiel Italien, Spanien und Frankreich, die ärmeren Haushalten Zuschüsse zum Ausgleich zahlen. Deutschland müsste z.B. vorübergehend Heizkostenzuschüsse in großem Stil für Geringverdiener und Alg2-Empfänger zahlen. 3 Euro Erhöhung sind doch ein Witz.
Aktuell im DLF Kultur:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/reinigungskraft-susanne-holtkotte-bezahlung-arbeitsbedingungen-100.html
„Es sind jetzt vielleicht 100 oder 150 Euro mehr im Laufe der Jahre geworden. Aber man darf nicht vergessen, zurzeit haben wir eine Inflation. Ich sehe das in meinem Portemonnaie. Es ist nicht nur der tägliche Einkauf, sondern es sind die Spritpreise an der Tankstelle und die Gaspreise. Wenn jetzt jeder im Laufe der Jahre 100 Euro mehr in seinem Portemonnaie hat, dann muss ich jedem die Illusion rauben, weil da hat keiner was von.“
ebo
8. Januar 2022 @ 17:55
Hmmm
Ich bin gespannt, wie lange die abhängig Beschäftigten und die Gewerkschaften noch still halten. Von Erklärungen und Analysen kann man sich nichts kaufen. Nicht nur die Heizkosten sind viel teurer geworden, auch die Preise für Lebesnmittel steigen ohne Ende…
european
8. Januar 2022 @ 18:40
Die Gewerkschaften werden nicht viel tun können. Die Eurozone hat immer noch eine Arbeitslosenquote von 7-8% und einer immer noch wirklich sehr hohen Jugendarbeitslosigkeit vor allem in den Südländern.
https://www.destatis.de/Europa/EN/Topic/Population-Labour-Social-Issues/Labour-market/EULabourMarketCrisis.html
Anders als in USA mit um die 4%.
Da müssen die Regierungen der Länder eingreifen und für temporären finanziellen Ausgleich sorgen. Unser Finanzminister wird wohl seinen Abacus wieder bemühen müssen 😉
ebo
8. Januar 2022 @ 18:48
In Deutschland ist die Arbeitslosenquote näher an 5 Prozent, und überall werden händeringend Leute gesucht…
european
9. Januar 2022 @ 13:00
@ebo
Deutschland kann ja seine Löhne erhöhen. Eigentlich müssen sie es sogar, wenn man den Lohnabstand zu den anderen Euroländern betrachtet. Wenn also über die nächsten 10 Jahre überdurchschnittliche Abschlüsse erzielt werden, könnte das Land kontinuierlich mit den anderen aufschließen und müsste sich dann nur noch um die Erreichung der Zielinflation kümmern.
https://udo-philipp.de/europa-loehne-in-deutschland-muessen-schneller-steigen/
Wenn z.B. die EU dieses Ziel in Deutschland so gnadenlos durchpeitschen würde, wie Deutschland in Griechenland, bräche die Wirtschaft zusammen, es gäbe es einen Bürgerkrieg und die Rechten wären an der Regierung.
Wenn die anderen Länder sich weiter an Deutschland’s Niedriglohnpolitik anpassen, sinkt deren BIP noch weiter ab und die Schuldenquote steigt weiter an. Siehe Griechenland: Lohnsenkung um 30%, BIP-Einbruch um 30%. Schuldenquote aktuell 211%. Erfolg sieht anders aus.
Nurmalso. Will bestimmt auch keiner hören.
Armin Christ
8. Januar 2022 @ 11:23
Bei meinem schmalen Einkommen ist die Inflationsrate (Nahrung, Sprit) bedeutend höher als die genannten 5%, denn ich kaufe nicht jeden Tag einen Tesla oder so´n Mist.
european
7. Januar 2022 @ 17:48
Wir müssen offen über die Guthabensünder der Eurozone sprechen. Es gibt keinen Überschuss ohne Defizit. Die Eurozone muss zu ausgeglichenen Leistungsbilanzen kommen, denn ohne Verdienst können die Defizitländer ihre Defizite nicht ausgleichen und die Schuldenquote senken.
Italien fehlten vor Corona noch ca. 25% bis zum Stand des BIP von vor der Finanzkrise.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/14402/umfrage/bruttoinlandsprodukt-in-italien/
Spanien auch:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/19358/umfrage/bruttoinlandsprodukt-in-spanien/
Über die Griechenlandvernichtung wurde schon ausreichend geschrieben. Es ist fraglich, ob das Land jemals wieder auf die Füße kommen wird.
Die BIP-Entwicklung Frankreichs sieht nicht ganz so schlecht aus, es fehlen aber aktuell immer noch ca. 300 Mrd. zum Stand von vor der Finanzkrise. Außerdem hat Macron zwischenzeitlich massiv in die Binnenwirtschaft investiert, was auch sehr stark zur BIP-Steigerung beigetragen hat. Ja, Binnenwirtschaft kann auch funktionieren.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/14396/umfrage/bruttoinlandsprodukt-in-frankreich/
Dafür sieht man, dass Frankreich’s Exporte nach 2011 massiv eingebrochen sind, sich dann bis vor Corona langsam erholten und aktuell völlig unten sind.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/15697/umfrage/export-von-guetern-aus-frankreich/
Nur ein Land (er)schlägt sie alle. Deutschland. Kleiner Einbruch in der Finanzkrise, aber dann immer schön nach oben.
https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/globalisierung/52842/aussenhandel
Italien hatte übrigens bis auf 2008 immer einen Primärüberschuss und war immer in der Lage seinen Verpflichtungen nachzukommen. Es leidet nicht unter zu hohen Schulden, sondern an der Schuldenquote, die natürlich steigen muss, wenn das BIP sinkt.