Pathos statt Politik
Zwei Sozis huldigen der Europafahne – ein offizielles Foto des Europaparlaments
Frankreichs Präsident Hollande gibt dem französischen Nationalfeiertag eine europäische Note. Bei seinem ersten Defilé zum 14 Juillet darf sogar Europaparlamentspräsident Schulz dabei sein, ein Genosse aus der SPD. Das wirkt unfreiwillig komisch, denn zum einen erweckt es den Eindruck, die EU werde von Sozialisten regiert – dabei ist das Gegenteil der Fall: Merkels Konservative ziehen fast alle Strippen. Zum anderen gibt es nicht viel zu feiern – im Gegenteil.
Normalerweise ist der 14. Juli kein Thema in Brüssel. Doch diesmal ist das anders: Schließlich ist es der erste große Auftritt Hollandes nach der Wahl und nach seinem ersten “echten” EU-Gipfel. Außerdem gibt sich EU-Parlamentschef Schulz die Ehre. Nach einem als privat deklarierten Besuch am Grab J. Monnets im Panthéon nahm er auch noch am Defilé auf den Champs-Elysées teil – als Chef einer Delegation von EU-Abgeordneten.
“Eine große Ehre” sei das, zeigte sich Schulz erfreut. Dann huldigte er gemeinsam mit Hollande der Europafahne – ein bißchen viel Pathos, wenn man bedenkt, wie schlecht es der EU geht, und wie wenig Schulz und Hollande zu feiern haben. Zwar haben sie es vermocht, den neoliberalen Austeritäts-Diskurs zu brechen – zumindest verbal bekennen sich nun alle EU-Politiker zu Wachstum und Sozialstaat. Doch in der Praxis haben sie Europa bisher (leider) noch nicht verändert.
Schulz und die deutschen Sozialdemokraten machen alles mit, was Merkel vorschlägt. Der Sozi aus Straßburg plant systematisch seine EU-Karriere (er möchte Kommissionschef werden), was ihn zu Rücksicht auf die Kanzlerin zwingt. Und die SPD-Genossen in Berlin planen schon für die Große Koalition, die sie offenbar 2013 anstreben, was sie ebenfalls in die Arme der Kanzlerin treibt. Viel mehr als Pathos und Symbolpolitik bleibt ihnen nicht, um sich doch noch ein wenig abzusetzen.
Hollande versucht zwar eine alternative, in Ansätzen linke Politik, doch das schwere Erbe der Ära Chirac/Sarkozy hat ihn bereits eingeholt. Er muss nicht nur 43 Mrd. Euro auftreiben, um das Budgetdefizit auf EU-Maß zu drücken. Er muss sich auch einer Krise der französischen Industrie stellen, die direkt mit der Eurokrise und der Rezession in Südeuropa zusammenhängt. Der zweitgrößte Automobilhersteller Europas, PSA, will 8000 Jobs streichen, Hollande will mit Staatshilfen gegensteuern.
Aus Brüsseler Sicht ist dies problematisch; die EU-Kommission dürfte den Interventionismus aus Paris bald unter die Lupe nehmen. In Brüssel sorgt man sich aber auch, dass Hollande alle Versuche blockieren könnte, im Zuge der Eurokrise mehr Souveränitätsrechte nach Europa zu übertragen. Der Newcomer aus Paris ist mit großen Vorschußlorbeeren gestartet; nun beginnt auch für ihn der europäische Alltag. Für Pathos ist da nicht viel Platz…
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Alex W.
16. Juli 2012 @ 11:32
Es gibt eine neue FES-Analyse zum Thema(http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/09227.pdf)”Es ist ein Fakt, dass die letzten zwei Jahre die Strukturmängelder europäischen Währungsunion offenbart haben.Dies darf jedoch nicht dahingehend fehlinterpretiertwerden, dass die Eurozone gescheitert sei. Ihr Zerfall oderauch nur die Abspaltung einzelner Länder birgt derzeitunwägbare und gigantische Wirtschaftsrisiken, währendder engere Zusammenschluss zu einer echten WährungsundFiskalunion enormes Wachstumspotenzial eröffnet.”Gut finde ich daran, dass die Existenz von Strukturmängeln in Betracht gezogen wird. Dieses Tabu erscheint mir zusehends lächerlich. Auch einen versteckten Hinweis auf mögliche Inflationsgesfahren oder neue Blasen gibt es:”Denn niedrige Kapitalkosten können auch sehr unerwünschte Nebenwirkungen haben.”Die Idee “Eurobonds” ist seltsam verpackt. Irgendwie scheint die SPD damit nicht ganz glücklich zu sein. Vor der Bundestagswahl sollte man aber Farbe bekennen, sonst hat man als Flipflop gegen Merkel keine Chance.