Oettinger will seine Kontakte vergolden
Dass er in die Wirtschaft wechseln wollte, war bekannt. Doch dass der scheidende deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) eine eigene Beraterfirma gründet, ist neu – und sorgt für Wirbel in Brüssel.
Kommissionschef Jean-Claude Juncker werde den Ethikrat anrufen, erklärte eine Sprecherin. Der soll klären, ob Oettingers Pläne mit dem Verhaltenskodex der Brüsseler Behörde vereinbar ist.
Normalerweise darf Oettinger während seiner Tätigkeit als Kommissar keinen neuen Job annehmen oder gar Firmen gründen. Die Amtszeit endet aber erst Ende Oktober, danach gilt noch eine zweijährige “Abkühlfrist”.
Oettinger müsste also noch einige Monate warten. Doch dazu hat er offenbar keine Lust. So schnell wie möglich, so scheint es, will der frühere Energie- und Digitalkommissar seine in Brüssel erworbenen Kontakte vergolden.
Warum für eine Firma arbeiten, wenn man (fast) alle beraten kann?
In seiner Brüsseler Zeit ist Oettinger so gut wie mit allen wichtigen EU-Themen in Berührung gekommen. Sein “Transparenzregister” zeigt, dass bei ihm Lobbyisten ein und ausgingen – mehr als bei anderen Kommissaren.
“Herr Juncker muss nun schnell handeln“, erklärt Nina Katzemich von LobbyControl. „Viele Seitenwechsel von ehemaligen Kommissar*innen haben in der Vergangenheit das Vertrauen in die Politik beschädigt. “
Neben Junckers Amtsvorgänger José Manuel Barroso, der zu Goldman Sachs wechselte, waren dies auch die neuen Posten der ehemaligen Wettbewerbs- und Digitalkommissarin Neelie Kroes bei Uber und salesforce sowie des ehemaligen Handelskommissars de Gucht bei ArcelorMittal.
Juncker wollte mit dieser unseligen Serie brechen. Doch schon die Blitzbeförderung seines Buddy Martin Selmayr hat Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit geweckt. Selmayrs Karrieresprung wurde von niemand anderem als Oettinger durchgewunken; der CDU-Politiker kennt auch alle Hintergründe.
Ob er vielleicht deshalb glaubt, das Juncker für ihn ein Auge zudrückt?
Mehr zum Thema Seitenwechsel und Lobbyismus hier
Scandalous Oettinger. https://t.co/iQsjr9JAGm
— Ronny Patz (@ronpatz) July 29, 2019
zykliker
30. Juli 2019 @ 12:35
folgendes ist keine Bewertung, sondern der Versuch einer beschreibenden Erklärung:
auch der Politiker vergleicht seine private Einkommens-/Vermögens-Situation mit der der Menschen, mit denen er überwiegend zu tun hat, von deren Spenden und Zuwendungen er abhängt, für die er Hindernisse beseitigt, Türen öffnet.
Da sitzen sich also ein ca 400.000 p.a.-Wesen (der Kommissar) und ein ca 10.000.000 p.a.-Wesen (der CEO/CFO was auch immer) gegenüber und finden gemeinsam Wege, den European Champion gegen den „Übersee-Champion“ in Vorteil zu bringen zu vermeintlich aller Menschen des Kontinents Nutzen (wer die richtigen Zahlen kennt, bitte gerne hier korrigieren).
Der Kommissar empfindet Nachholbedarf in einer neofeudalistischen Welt, in der die soziale Stellung nach primitiven vulgärmaterialistischen Kriterien und/oder dem Machtgehabe wie in einer Affenpopulation vergeben wird.
Im rheinischen Kapitalismus eines Ludwig Erhard betrug das Einkommen eines CEO das x-fache eines Facharbeiters; im neoliberalen Feudalismus heutiger Prägung kassiert selbst ein angestellter Hochfrequenz-Spekulant im Investmentbanking das x-mal-y-fache eines Facharbeiters. In dieser öbszönen Einkommens-/Vermögensspreizung ist es die Anschluß-Verwendung, die dem Politiker ein „Trostpflaster“ verspricht.
Auch die heutige Welt mit ihren Wertmaßstäben ist nicht von selbst entstanden, sondern wurde von interessierter Seite bewußt so gestaltet; diese Welt mit einem wolkigen Begriff wie „Zeitgeist“ zu umschreiben, beleidigt alle Betrogenen, aber auch den Politiker, der sich für ein „Trinkgeld“ abstrampeln muß (weil er nichts besseres kann, die meisten in der Welt der Einkommensmillionäre aber auch wegen Unfähigkeit untergehen würden; vgl. Roland Koch). Der Politiker weiß aber nicht, daß er unfähig ist, denn er wurde gewählt oder delegiert; und wenn er es weiß, nutzt er es als Tarnung für anderweitige Zwecke.
Holly01
30. Juli 2019 @ 14:23
Diese Beschreibung weist 2 gravierende Fehler auf.
Ein Beamter wählt diesen Berufsweg, weil er über Jahre seine Aufstufungen bekommt, nie in Abhängigkeit gerät und nie einem Risiko ausgesetzt ist.
Ein Politiker wählt diesen Weg, weil er ein perfekter Vermarkter ist. Er macht das weil er jedem Alles erzählen und jedem Alles begründen kann, obwohl er/sie keine Ahnung hat und das Gesabbel mit den tatsächlichen Inhalten nichts zu tun hat. Ein Politiker gehört ein Leben lang zu einer Seilschaft, ist immer abhängig und in permanenter Gefahr, bis er ein Pensions berechtigtes Amt erworben hat (welches er gerne und oft wechselt, weil das die Pensionsansprüche maximiert).
Ein Politker muss aber nie Verantwortung übernehmen und nie eine andere Leistung bringen, als sein Talent als Verkäufer zu nutzen.
Nun die 2 Fehler in Ihrer Betrachtung:
– weder der Politiker noch der Beamte haben irgend einen Anspruch auf “Leistung”, es ist also völlig abwegig, die mit Leuten aus der Industrie zu vergleichen (und kommen Sie nicht mit Merkel macht y-Stunden pro Tag, das ist Anwesenheit und oft reines Entertainment)
– weder Politiker noch Beamte müssen einen Mehrwert schaffen, sie sind schlicht nicht in der Situation das ihre Leistung als sachliches Ergebnis in einer Bilanz nachgewiesen werden muss
Die Amtshaftung haben die Nazis abgeschafft. Den Rest hat das Verwaltungsrecht beseitig.
Also entschuldigen Sie, aber ich sehe weder beim einen noch beim anderen einen Anspruch auf eine ähnliche Bezahlung wie bei Spitzenleuten der Industrie (die im übrigen gerade einen Tritt in den Hintern brauchen, das die Schluckauf bekommen, damit die mal beim Geld wieder “runter” kommen).
Ein Masseur von Messi wird nicht arm sein, aber der bekommt keine 8 Stellige Summe pro Jahr weil er Umgang mit Messi hat. So ist das auch bei Beamten.
Neid? Ja kann sein. Aber wenn wir anfangen wollten jeden Neid zu befriedigen, nähme das kein Ende.
Die können ja kündigen und wechseln, wenn die das drauf haben …. wollen die aber nicht …
vlg
zykliker
30. Juli 2019 @ 19:39
für alle, die entweder nicht lesen können, oder denen schon nach einigen Sätzen der emotionale Geifer die klare Sicht raubt, wiederhole ich gerne hier: „folgendes ist keine Bewertung, sondern der Versuch einer beschreibenden Erklärung:“
Und ich bringe auch gerne meine Quintessenz zum Ausdruck (sozusagen als teachers summary): Die neoliberale Raffgier hat auch die Einkommensschere zwischen den Feudalherren und den Politikern in einer Weise gespreizt, die – menschlich verständlich, sicher aber von der Leistung her nicht gerechtfertigt – Begehrlichkeiten weckt.
Vielleicht könnte meine Arbeit also auf dieser wertfreien Betrachtungsebene doch noch die Note zureichend erhalten?
Holly01
31. Juli 2019 @ 07:19
@Zykliker: Ihr erster Text war schon deutlich zu verstehen. Ich bin nur nicht Ihrer Meinung, weil ich denke, das der Betrachtung falsche Parameter zu Grunde liegen.
Ansonsten schreibe ich nicht um zu gefallen und nehme das grundsätzlich auch nicht von den anderen an.
Wenn Sie Applaus und Zuspruch suchen, sind sie online auch nicht am richtigen Platz, hier ist mehr so schwäbisches Lob (nicht gemäggert ist genug gelobt).
vlg
Peter Nemschak
30. Juli 2019 @ 19:19
Langer Rede kurzer Sinn: die Menschen sind gierig. Das zu ändern ist noch niemandem gelungen.
ben
30. Juli 2019 @ 21:35
“Langer Rede kurzer Sinn: die Menschen sind gierig. Das zu ändern ist noch niemandem gelungen.”
Natürlich ist da etwas dran, jedoch wäre mit so einer Einstellung nie eine neue Erfindung gemacht worden, da es ja vorher noch nie jemanden gelungen ist, dieses Neue zu erfinden.
Menschliche Gier ließe sich mit politischen Entscheidungen, wenn man denn wollte, durchaus regulieren.
Es müsste nur erst einmal der Wille dazu vorhanden sein. Aber noch ist z.B. eine Börsentransaktionssteuer der Untergang des Abendlandes, obwohl das in früheren Zeiten durchaus mit so einer Steuer leben konnte, bis man das globale Spielkasino eröffnet hat.
So lange sich Reiche bei der Steuer legal arm rechnen können, globale und digitale Konzerne kaum bis gar nicht besteuert werden, feuert das die Gier ja noch weiter an,
statt sie zu begrenzen. Und wie lange hat das noch mal mit cum-ex und cum-cum gedauert, bis man von politischer Seite etwas dagegen unternommen hat.
So lange wir uns nur in alten Denkschemata bewegen, ändert sich auch nix.
Und das betrifft jeden Einzelnen.
Je nach Dauer einer politischen Karriere, Position, der Tiefe als Geheimnisträger, erworbene Pensionsansprüche usw. könnte man z.B. einen Faktor ermitteln mit dem man berechnen kann, wie lang eine Schutzsperre nach dem Ausscheiden aus einem politischen Amt dauert. Ein Öttinger wäre damit aufgrund seines Alters raus aus der Nummer. Und wenn das ganze transparent berechnet wird kann auch jeder jedes Jahr entscheiden, ob er im Laufe seines Lebens seine Berufung wechseln möchte oder nicht. Den gläsernen Bürger habe wir ja schon, da spricht ja auch nichts gegen den gläsernen Politiker.
Holly01
31. Juli 2019 @ 07:30
@ Ben:
Exakt diesen Hintergrund sehe ich auch bei der Diskussion.
Gewinne maximieren und privatisieren, Verluste vergesellschaften.
Reiche und Konzerne zahlen keine Steuern und bekommen Subventionen.
Steuerschlupflöcher werden geöffnet und offen gehalten, Schaden egal.
– Beamte sollen auch in der Wirtschaft tätig werden können ….
Es ist ja schon heute so, das Konzerne Leute abstellen, die in der Verwaltung weit oben als Quereinsteiger aufschlagen und da den vollen Schaden anrichten.
Genau die Leute gehen dann (nach vollbrachter Tat) unter dem Jubel der Auftraggeber “in die Wirtschaft” zurück.
Wir lächerlich die Trennung ist, sieht man daran, das die Unternehmen alle relevanten Gesetze zu ihren Geschäftsbereichen selbst schreiben.
Drehscheiben sind all zu oft diese “Berater”.
Die bekommen die Gesetzentwürfe von den einen Kunden in die rechte Tasche geschoben und präsentieren sie den öffentlichen Kunden aus der linken Tasche.
Alle wissen es.
Keiner tut was.
Das hat mit Gier nichts zu tun.
Deutschland wird von einer Hand voll Leute gesteuert …. denen ist das alles völlig egal, die stehen da drüber und die empfinden das auch als normal, weil für die ja alles eins ist.
Aber ein Beamter untersteht einer ANDEREN Hierarchie und das man das aufweichen WILL, das ist offensichtlich, genau wie die Gründe dafür.
Der Staat ansich steht den Interessen im Weg.
Aha und da sind wir bei Trump, Johnson, Freihandelsabkommen und Neoliberalismus.
Natürlich lieben die den “schlanken” (eigentlich magersüchtigen) Staat.
Ich verwende mal direkt die Analogie: Das ist erst gut, wenn jeder Politker nach dem konsum von Steuern auf das Lobbyklo läuft und Subventionen kotzt …. (ja sry aber so empfinde ich das)
Da hilft eben nur Beamtenrecht und Verbot … denn wir stehen krimineller Energie gegenüber.
vlg
Peter Nemschak
30. Juli 2019 @ 09:46
Die Abkühlperioden sind Heuchelei. Warum sollen ehemalige politische Spitzenfunktionäre ihr Wissen nicht in der Privatwirtschaft zu Geld machen? Wer Compliance zu eng zieht, bekommt über kurz oder lang unkündbare Beamte mit Rückkehrrecht an die Spitze der Politik. Und selbst dann ist das keine Garantie gegen Korruption. Vermutlich wird Oettinger mit seiner Beraterfirma nicht seinen Nachfolger oder andere Spitzenfunktionäre der EU, die ihrerseits Compliance Vorschriften unterliegen, beraten sondern sich auf Drittinstitutionen konzentrieren. Beispiele gibt es jede Menge. Man denke an Axel Weber, der als ehemaliger Präsident der Deutschen Bundesbank ein Jahr nach seinem Rücktritt Präsident des Verwaltungsrats der schweizerischen UBS geworden ist oder Schröder, der heute Putin berät. Amerikanische Ex-Präsidenten lassen sich als hochbezahlte Vortragende herumreichen. Politik ist ein Geschäft wie jedes andere. Natürlich unterliegen die Standards dem sozialen Wandel. Was früher vielleicht toleriert wurde, kann heute ins Gefängnis führen. Es macht aber die Welt deshalb nicht besser.
Holly01
30. Juli 2019 @ 10:11
Herr Oettinger bekommt eine Pension. Genauer er bekommt für jedes Amt das er im öffentlichen Raum belegt hat JE eine Pension, ohne jede Bedarfsprüfung.
Das dient dazu das der Mann seinen erworbenen Lebenstandard „halten“ kann.
Es dient aber auch der Absicherung der Gesellschaft. Absicherung davor das beamte und eben auch und gerade Wahlbeamte mit ihren Kontakten und Verbindungen Schindluder treiben.
Beamte wie Wahlbeamte haben STAATSTRAGENDE Aufgaben. Nicht mehr aber auch nicht weniger und diese Aufgaben verdienen einen SCHUTZ.
Und ja, nach meiner Meinung bedeutet das, das Herr Oettinger seinen Lebensabend geniessen sollte und das fern jeder Tätigkeit, die einen Bezug zu seiner politischen Tätigkeit hat.
Genauer: Es sollte ihm und anderen VERBOTEN sein, in die freie Wirtschaft zu wechseln.
Denn genau darum dauert ein Beamtenverhältnis ein LEBEN lang.
vlg
Peter Nemschak
30. Juli 2019 @ 16:13
Nicht verbieten aber Ruhebestimmungen für die Pension während der Zeit in nichtöffentlicher Tätigkeit wären diskussionswürdig.
Holly01
30. Juli 2019 @ 18:37
@ Hr. Nemschak,
diskussionsbedürftig ist das Pensionsunwesen schon sehr lange. Es will nur keiner drüber reden. Das gehört in die Kategorie “unsagbar” wo auch Parteienfinanzierung, Partei nahe Stiftungen und staatliche Steuervorteile nach Gutsherrenart herumlungern.
Ich neige aber eher zum Verbot. Aber ich würde auch eine Rückkehr der Amtshaftung sehr sehr begrüßen. Ohne Beschränkung auf Vorsatz (der real nie nachweisbar ist).
Amtsträger müssen darauf vertrauen können, das Beamte den staatstragenden Teil VOR dem Wunsch nach Vermögen einordnen.
Oder wir können das Beamtentum ganz abschaffen. Dann aber auch die Wahlbeamten weg.
Das Richtertum müsste schon seit dem WKII ganz neu geregelt werden, aber das wird ja auch systematisch verschleppt.
Da könnte und sollte mal einen großen Abwasch machen.
Wenn wir die Rentenansprüche der Masse entwerten konnten, dann sollte das mit den Pensionsansprüchen der Staatsdiener, die dem Staat nicht dienen kein Problem sein.
vlg
ben
30. Juli 2019 @ 18:52
„Politik ist ein Geschäft wie jedes andere“
Genau das ist es eben nicht – Politik wird oft zum Geschäft gemacht, in dem sich die sogenannten Volksvertreter den Interessen der Wirtschaft in allen möglichen Bereichen unterordnen, jedoch nicht die Interessen des Volkes vertreten, das sie gewählt hat.
Mit so einer Einstellung ist es nicht verwunderlich, dass die Demokratie an vielen Stellen den Bach runtergeht und nur noch alles mit betriebswirtschaftlichen Augen betrachtet wird.
Peter Nemschak
30. Juli 2019 @ 20:44
Waren die nicht-käuflichen Politiker in der Geschichte besser als die käuflichen? Haben sie weniger Unheil angerichtet? Die bekannten Diktatoren des 20.Jhdts. hatten keinen besonders aufwendigen Lebensstil.