Oettinger und die Ethik, Seehofer und die Abschiebung – und wer zahlt die Zeche?

Die Watchlist EUropa vom 12. März 2021 –

Die CDU steht nicht nur im Bundestag auf der Bremse, wenn es um Lobby-Transparenz geht.

Auch im Europaparlament in Brüssel verzögern deutsche Christdemokraten die Einrichtung einer neuen, unabhängigen Kontrollinstanz, die über die Einhaltung der strikten Ethikregeln wachen soll.

Davon profitiert offenbar vor allem der frühere EU-Kommissar Günther Oettinger, der selbst der CDU angehört.

Oettinger ist Ende 2019 aus der Brüsseler Behörde ausgeschieden. Seither habe er nicht weniger als 14 Nebenjobs angenommen, sagt der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund. Auf einer Website der EU-Kommission sind die Kunden verzeichnet.

Dazu zählen die Donner und Reuschel AG, Deloitte, Herrenknecht und Oettinger Consulting – eine eigens gegründete Beratungs-Firma in Hamburg.

Die EU-Kommission, die seit Oettingers Abgang von der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen geführt wird, hat diese Jobs genehmigt.

Dabei gilt eigentlich eine zweijährige „Abkühlphase“, in der frühere EU-Kommissare keine professionellen Tätigkeiten ausüben sollen, bei denen sie von ihren lukrativen EU-Kontakten profitieren. So will man mögliche Interessenskonflikte vermeiden.

Dass von der Leyen ihren Parteifreund Oettinger gewähren lässt – wenn auch mit Auflagen – sehen viele in Brüssel mit Unbehagen. „Die Auflagen sind nicht nachprüfbar“, kritisiert Freund.

Kumulativer Effekt

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Niemand könne überprüfen, ob Oettinger bei der Beratung seiner Kunden nicht doch in sein dickes Adressbuch schaue. Die EU-Kommission übersehe auch den „kumulativen Effekt“ der vielen Nebentätigkeiten.

Der Fall Oettinger ist aber nicht das einzige Problem. Auch andere ehemalige EU-Kommissare wie Violetta Bulc oder Karmenu Vella arbeiten als Berater.

Nun ist auch noch ein Streit um die Frage entbrannt, wie die Aufsicht besser organisiert und der Lobbyismus eingedämmt werden kann. Dafür soll ein neues unabhängiges Kontrollgremium geschaffen werden, das die EU-Kommission entlastet.

Wahlversprechen gebrochen?

Für einen solchen „Ethics Body“ hatte sich von der Leyen bei ihrer Wahl Ende 2019 ausgesprochen. Auch der Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU) war damals dafür.

Doch nun scheinen die deutschen Christdemokraten ihr Wahl-Versprechen vergessen zu haben. Im Europaparlament, wo die Vorarbeiten begonnen haben, stehen sie auf der Bremse.

Das erinnert irgendwie an die CDU in Berlin, oder?

Siehe auch “Die Lobbyisten sind immer dabei”

Watchlist

Die “Festung Europa” steht – wird nun auch noch schneller abgeschoben? Darüber beraten Innenminister Seehofer und seine EU-Kollegen am Freitag. Allerdings drücken sie sich netter aus: Es gehe darum, wie künftig mehr abgelehnte Schutzsuchende aus EU-Staaten in ihre Heimatländer zurückgeführt werden können. Dies sei Teil der jüngsten Bemühungen, beim Thema Migration enger mit Transit- und Herkunftsstaaten zusammenzuarbeiten, heißt es in Brüssel. Man kann auch von “Abschiebe-Partnerschaften” sprechen…

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Hotlist

  • Die EU ist jetzt eine “LGBTIQ Freedom Zone“. Dies beschlossen die EU-Abgeordneten mit 492 zu 141 Stimmen, meldet Politico. Zitat: “The resolution is meant to add political pressure on countries where “backlash against LGBTIQ people is often coupled with a broader deterioration in the situation of democracy, the rule of law and fundamental rights.” Die nichtbindende Erklärung richtet sich vor allem an Polen. Dort waren “LGBTI-freie Zonen” ausgerufen worden. Nun reagiert das Europaparlament “politisch korrekt”. Mir wäre es lieber, die Politik würde sich aus diesen Identitätsfragen heraushalten, in Warschau wie in Brüssel…
  • In Berlin und anderen europäischen Hauptstädten wächst die Sorge, dass sich die Auszahlung der Mittel aus dem Corona-Aufbaufonds verzögert. Ein Grund dafür seien die „romandicken“ Anmerkungen, mit denen die EU-Kommission die vorläufigen Investitionspläne der Mitgliedstaaten kommentiert, meldet das “Handelsblatt”. Dadurch gerate der gesamte Zeitplan in Gefahr, dem zufolge das erste Geld im Sommer fließen sollte. – Besonders viele Anmerkungen schickte die Kommission nach Berlin. Das ist ironisch, denn schließlich war es Kanzlerin Merkel, die auf strikte Kontrolle der Reformauflagen bestand… – Mehr hier
  • Gleichzeitig warnt der Bundesrechungshof, dass der Aufbaufonds milliardenschwere Risiken für die Bundesrepublik enthält. Bundesrechnungshof-Präsident Kay Scheller geht noch weiter: “Wie man sieht, besteht die Gefahr, dass der Wiederaufbaufonds die EU letztlich nicht stärkt, sondern schwächt und die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion gefährdet.” Dies meldet die “Tagesschau”. Am Ende könnten die Schulden bei Deutschland hängen bleiben, heißt es in dem Gutachten. Zudem existiere kein klarer Tilgungsplan, welcher EU-Staat wann welche Schulden begleichen muss. Tja, auch das fällt auf Merkel zurück…