Oettinger hat sich verrechnet

Der Budgetentwurf für 2021ff stößt auf Widerstand. Doch diesmal sind es nicht nur die üblichen Verdächtigen, die protestieren. Haushaltskommissar Oettinger und Kommissionschef Juncker haben sich verrechnet.

Früher war es so: Die EU-Kommission stellt einen Budgetentwurf vor – und Großbritannien geht auf die Barrikaden. “I want my money back”, rufen die Briten – und Deutsche und Niederländer stimmen ein.

Bei der letzten Finanzplanung kam es sogar zum Schulterschluss zwischen Premier Cameron und Kanzlerin Merkel. Gemeinsam haben sie das (laufende) EU-Budget zusammengestrichen. Das war ein Fehler.

Denn die EU bekommt ständig neue Aufgaben. Grenzschutz, Flüchtlingshilfe, Aufrüstung, Terror-Bekämpfung, Türkei-Finanzierung – immer öfter soll Brüssel für die EU-Staaten geradestehen.

So gesehen ist es logisch, dass Oettinger nun mehr Geld fordert. Erfreulich ist auch, dass Deutschland bereit ist, mehr zu geben. Doch Oettinger hat sich zwei Rechen-Tricks ausgedacht, die die andern ärgern.

Trick Nummer eins: Querbeet kürzen, aber mehr für die Flüchtlingshilfe geben. Trick Nummer zwei: Geld soll es nur bei Rechtsstaatlichkeit geben. Beides lässt eine deutsche Handschrift erkennen.

Denn es würde Deutschland die gewohnten Rückflüsse aus Brüssel sichern, die Länder in Osteuropa hingegen viele Milliarden kosten. Aber auch Frankreich müsste bluten – und alle sollen mehr zahlen!

Wenn Oettinger (und Merkel) geglaubt haben sollten, damit kämen sie durch, so haben sie sich verrechnet. Schon wenige Stunden nach Vorstellung des Plans stand halb Europa auf den Barrikaden.

Die Niederlande und Österreich wollen nicht mehr zahlen. Frankreich will nicht auf Agrarsubventionen verzichten. Polen und Ungarn attackieren den Rechtsstaats-Mechanismus. Und die deutschen Bundesländer bangen um Strukturhilfen.

Nur Italien und Griechenland können zufrieden sein. Denn dort könnte – vielleicht – ein wenig mehr EU-Geld hängen bleiben. Oettinger wolle den Osten bestrafen und den Süden belohnen, hieß es deshalb schon in Brüssel.

“Fake news”, konterte ein gewisser Herr Selmayr, der den Plan vermutlich ausgeheckt hat (wie fast alles, was von Oettinger kommt). Fest steht, dass das neue Budget, nicht vereint, sondern spaltet.

Selmayr und Oettinger und Juncker wollen “mehr Europa” – und bekommen weniger, weil sie nun alle gegen sich aufbringen.  Sie wollen eine Antwort auf die Krisen der EU geben – und könnten selbst eine auslösen.

Denn dieses Budget – und seine chaotische, nicht einmal für Brüssel-Profis nachvollziehbare Präsentation – wird nicht als Angebot und Hilfe empfunden, sondern als Zumutung und Gängelung

Siehe auch “Überwachen und strafen”

WATCHLIST:

  • Die EU-Kommission stellt ihre neue Konjunkturprognose vor. Man darf gespannt sein, wie sie auf die wieder  schwächelnde Wirtschaft reagiert. Wird man US-Präsdient Trump die Schuld geben – wegen des Handelsstreits?

WAS FEHLT:

  • Ein Eurobudget. Bei Oettingers Vorstellung des neuen Haushalts wurde es nicht einmal mehr erwähnt. Dabei könnte es die Eurozone teuer zu stehen kommen, wenn sie sich nicht für den nächsten Abschwung rüstet. Stattdessen will die EU-Kommission 25 Mrd. Euro für neoliberale Strukturreformen bereitstellen – und 30 Mrd. für eine “European Investment Stabilisation Function” – schon das Wort ist ein Ungetüm. Was sich dahinter genau verbirgt, ist noch offen…
  • Deutsche Investitionen. Der neue Finanzminister Scholz tritt in die Fusstapfen seines Amtsvorgänger Schäubles und opfert der “Schwarzen Null” die Zukunft. Ohne zusätzliche Investitionen wird die deutsche Wirtschaft aber auch nicht mehr importieren, z.B. aus den USA. Scholz und Wirtschaftsminister Altmaier setzen den alten, umstrittenen “Policy-mix” fort…

Sie auch “Was Altmaier verschweigt”