Merkel hinterlässt eine tief gespaltene EU, an der die Bürger (ver-)zweifeln

“Eine volle Tagesordnung, ich freue mich auf die Beratungen.” Mit diesen Worten ist Kanzlerin Merkel in ihren vermutlich letzten EU-Gipfel gestartet. Die angeblich so ausgleichende CDU-Politikerin hinterlässt eine tief gespaltene Europäische Union, an der die Bürger (ver-)zweifeln.

Dies zeigt sich an den Themen, die bei diesem Gipfel auf der Tagesordnung stehen:

  • Corona-Pandemie: Merkel hat der EU den Corona-Aufbaufonds beschert, der nun sogar langsam in Gang kommt. Doch rechte Freude will darüber nicht aufkommen. Die “Frugal four” bestehen auf einer strikten Befristung und auf der Restauration des status quo ante – mit den Maastricht-Schuldenregeln. Frankreich und einige andere Länder denken schon jetzt über ein Aufstockung und Verlängerung nach. Streit gibt es zudem über die Reiseregeln. Merkel fordert mehr Disziplin, zuletzt hat sie sogar das EU-Vorsitzland Portugal ermahnt. Aber die deutschen Alleingänge bei den Grenzkontrollen und Quarantäneregeln nerven (fast) alle Nachbarn.
  • LGBT: Merkel und 16 weitere Staats- und Regierungschefs haben vor dem Gipfel gefordert, die Rechte sexueller Minderheiten zu schützen. “Wir müssen den Kampf gegen die Diskriminierung der LGBTI-Gemeinschaft fortsetzen und bekräftigen unsere Verteidigung ihrer grundlegenden Rechte”, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Schreiben. Sieben Staaten haben nicht unterzeichnet, darunter auch Ungarns traditioneller Verbündeter Polen sowie Slowenien, das am 1. Juli den EU-Vorsitz übernimmt. Hier zeichnet sich ein Kulturkampf ab, der weit über den ohnehin schwelenden Rechtsstaats- und Demokratie-Streit hinausgeht.
  • Migration: Hier hinterlässt Merkel einen Scherbenhaufen. Die Wunden der Flüchtlingskrise und des deutschen Alleingangs 2015 sind immer noch nicht geschlossen. Die versprochene “europäische Lösung” hat es nicht gegeben, die Umverteilung von Flüchtlingen funktioniert nicht – deshalb wird nun der umstrittene Flüchtlingsdeal mit dem türkischen Sultan Erdogan zu Merkels Vermächtnis. Damit macht sich die EU von einem islamischen Dispoten abhängig. Ähnlich frustrierend fällt die Bilanz in Libyen aus, wo Berlin mit einem “failed state” zusammenarbeit, der Migranten in KZ-ähnliche Lager steckt und im Mittelmeer ersaufen lässt.
  • Russland: Als Merkel Kanzlerin wurde, wollte sie Beziehungen normalisieren. Nun sind sie so schlecht wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Zudem ist Deutschland im Streit um die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 zunehmend isoliert. Merkel wird deshalb im Juli nach Washington reisen, wo sie zu weitgehenden Konzession gezwungen sein könnte – bis hin zu Kompensations-Zahlungen für die Ukraine. Auf ihrem letzten Gipfel will Merkel (gemeinsam mit Macron) wenigstens sicherstellen, dass die EU wieder zu Gipfeltreffen mit Russland zurückkehrt – doch sie sieht sich starkem Widerstand ausgesetzt, ihre Autorität in der Ostpolitik ist erschüttert.
  • Bürger: Das Vertrauen der Bürger in die EU ist erschüttert. Besonders stark war der Vertrauensverlust in Deutschland, heißt es in einer aktuellen Studie des ECFR. Schuld daran ist nicht allein das europäische Mißmanagement in der Coronakrise. Viele Bürger haben auch eine völlig andere Vorstellung von Außenpolitik als Merkel und die meisten EU-Chefs. Sie sehen in den USA keinen verlässlichen Partner mehr. Als größter Gegner wird nicht etwa China, sondern die Türkei empfunden. Doch ausgerechnet mit der Türkei fährt Merkel ihren Kuschelkurs weiter. Als Nächstes plant sie einen Ausbau der Zollunion – it’s the economy, stupid!

Siehe auch Wird Deutschland euroskeptisch?