Merkel allein zu Haus, Nato auf Abwegen – und Preis für Nawalny

Die Watchlist EUropa vom 21. Oktober 2021 –

Bei ihrem vermutlich letzten EU-Gipfel will Kanzlerin Merkel noch einmal alles geben. Schon vor dem offiziellen Start in Brüssel um 15 Uhr will sie sich mit dem polnischen Ministerpräsidenten Morawiecki treffen, um den Streit um das EU-Recht und den Rechtsstaat zu schlichten.

Man dürfe Polen nicht isolieren, hieß es vor dem Gipfel in Berliner Regierungskreisen. Die richtige Strategie sei Dialog und nicht Konfrontation. Eine Sanktionsdebatte sei das Letzte, was man derzeit gebrauchen könne.

Merkel will den Laden zusammenhalten – bis zum Schluß. Offenbar hasst die scheidende Kanzlerin nichts mehr als die Vorstellung, sie könne ein zerrissenes und geschrumpfes EUropa hinterlassen. Nach dem Brexit auch noch ein Polexit? Das darf nicht sein.

Dummerweise hat Merkel mit ihrer Haltung jedoch Deutschland isoliert. Nach den Benelux-Staaten ist auch Frankreich auf eine harte Linie eingeschwenkt. Genau wie die EU-Kommission fordern diese Länder nun Sanktionen gegen die polnischen Rechts-Verdreher.

Der Druck ist so groß geworden, dass sogar Gipfelchef Michel seine Pläne ändern mußte. Die Rechtsstaats-Debatte mit Polen steht nun – anders als geplant – doch auf der Tagesordnung des Gipfels, beim Abendessen dürften die Chefs die Messer wetzen.

Allein zu Haus ist Merkel auch beim Thema Energiepolitik, dem zweiten großen Streitthema des Gipfels. Fast alle EU-Staaten fordern Maßnahmen gegen die Preisexplosion, viele Länder sind schon vorgeprescht – nur Deutschland hat nicht gehandelt.

Wenn es nach Merkel geht, soll sich das auch nicht ändern. Sie will sich in aller Ruhe noch einmal die Preisbildung auf den Märkten anschauen und abwarten. Von Spekulation auf den Gasmärkten spricht sie ebenso wenig wie von Manipulation durch Russland.

Streit um Nord Stream 2

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Dabei sind das die Reizworte, die Spanien, Frankreich und Polen ansprechen wollen. Sogar aus dem Inland kommt Druck. Grünen-Kochefin Baerbock will die Ostseepipeline Nord Stream 2 weiter blockieren, weil sie eine Erpressung aus Moskau wittert.

Merkel hält davon gar nichts. Russland habe seine Lieferverträge erfüllt und den aktuellen Preisanstieg nicht herbeigeführt, ist man sich in ihrem Umfeld sicher. Den gebeutelten Verbrauchern und Unternehmen hilft das jedoch herzlich wenig.

Sie wollen keine neuen Analysen, sondern Taten. Auf Merkel dürfen sie dabei nicht hoffen. Die Kanzlerin wird ihre Politik nicht mehr ändern. Sie hofft auf einen einigermaßen friedlichen Gipfel, vielleicht gibt’s ja noch ein paar nette Worte zum Abschied.

Und das war’s dann – es sei denn, es gibt bald wieder eine Krise in Brüssel, oder in Berlin. Dann könnte auf Merkels 107. EU-Gipfel noch ein weiterer folgen…

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Die Watchlist

Welche Lehren zieht die Nato aus dem Afghanistan-Debakel? Darüber wollen die Verteidigungsminister am Donnerstag in Brüssel sprechen. Auch die neuen Spannungen mit Russland und China dürften zum Thema werden. Nato-Generalsekretär Stolenberg folgt treu der US-Linie und will das “Nordatlantische” Bündnis nun auch in den Indopazifik und in andere ferne Meere entsenden. Derweil denkt US-Verteidigungsminister Austin über einen Nato-Beitritt der UKraine und Georgiens nach – ein rotes Tuch für Russland, aber auch Deutschland und Frankreich…

Was fehlt

Der Sacharow-Preis des Europaparlaments. Er geht dieses Jahr – wie nicht anders zu erwarten – an den inhaftierten russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Der Kreml-Kritiker habe “unermüdlich gegen die Korruption von Wladimir Putins Regime gekämpft. Das hat ihn seine Freiheit und beinahe sein Leben gekostet”, schrieb Parlamentspräsident David Sassoli. Das EU-Parlament verlange seine “sofortige Freilassung”. Mir würden noch ein paar andere politische Gefangene einfallen, die freigelassen werden müssten – sogar in westeuropäischen Staaten…