Let them go!
Nur jeder dritte Brite ist für einen Verbleib seines Landes in der EU. Dies geht aus einer aktuellen Umfrage hervor, über die die “FT” berichtet. Jeder zweite möchte Brüssel den Rücken kehren, nur 17 Prozent sind unentscheiden. Wenn es dabei bleibt, macht es keinen Sinn, London noch mehr entgegenzukommen.
“Let me go”, sang die britische Band “Heaven 17” in den 80er Jahren. “Let them go”, möchte man heute einstimmen, wenn man die Ergebnisse der “FT”-Umfrage studiert. Denn offenbar macht es keinen Sinn, auf einen Sinneswandel der Briten in Sachen EU zu warten.
Premier Cameron will sein Referendum 2017 abhalten – und bis dahin um EU-Reformen kämpfen. Wenn es ihm gelänge, die EU zurechtzustutzen und die Londoner City zu pampern, so sein Kalkül. könnte doch noch eine Mehrheit der Briten für einen Verbleib in der EU stimmen.
Doch die aktuellen Zahlen, die nach Camerons Europarede erhoben wurden, sprechen eine andere Sprache. Nur 17 Prozent der Briten sind unentschieden, nur 12 Prozent der EU-Gegner wären “sicher” bereit, ihre Haltung zu überdenken. Das reicht nicht aus, um eine proeuropäische Mehrheit zu sichern.
Denn dazu müsste das EU-Lager mindestens 18 Prozent hinzugewinnen, um von derzeit 33 auf über 50 Prozent zu kommen. Das Reservoir der Unentschiedenen und Wechselbereiten erscheint dafür viel zu klein. Umso mehr spricht dafür, dass Camerons Kurs die Neinsager bestärkt hat.
Damit macht aber auch die deutsche Umarmungsstrategie keinen Sinn. Bisher hat Merkel ihre Unterstützung für Cameron und dessen neoliberale Agenda ja damit begründet, man müsse alles tun, um einen britischen EU-Austritt zu verhindern.
Doch die Kürzung des EU-Budgets, die Agenda-Politik und das geplante Freihandelsabkommen mit den USA zahlen sich nicht aus – jedenfalls nicht bei den britischen EU-Gegnern. Die wollen gar keine Reformen, sondern einfach nur raus.
Merkel sollte ihren Kurs daher schleunigst überdenken. Würde sie hingegen bis zuletzt – also bis 2017 – versuchen, Cameron und seinen Insulanern Honig um den Bart zu schmieren, könnte dies verheerende Folgen für Europa haben.
Denn damit würde die britische Erpressungs-Taktik belohnt. Dies würde EU-Gegner in anderen Ländern auf den Plan rufen – in den Niederlanden geht es ja schon los. Jeder würde Vorteile für sein Land fordern – und mit Austritt drohen.
Mit Demokratie hätte dies wenig zu tun. Wenn es Cameron und Merkel um Demokratie ginge, sollten sie 2014 bei der Europawahl für ihre Position kämpfen. Merkel sollte zudem auf ihren Finanzminister hören und ein EU- oder Euro-Referendum auch in Deutschland ermöglichen.
Aber darum ist es verdächtig still geworden…
Zu diesem Thema passt auch das Video, das ich auf BlickLog gefunden habe. Viel Spaß!
http://youtu.be/S6xZoTTnuuw
Tim
18. Februar 2013 @ 13:02
Wie bitte, britische Erpressungstaktik? Die EU und ihre Mitgliedsstaaten verstoßen seit Jahren wiederholt gegen eigenes Recht und einstmals grundlegende europäische Prinzipien, ohne daß dies Konsequenzen hätte – und wenn nun jemand die Nase voll von dem Gemurkse hat, ist das eine “Erpressungstaktik”? Sag mal, merkt Ihr in Brüssel überhaupt nicht mehr, was los ist? Wäre es nicht mal an der Zeit, sich ernsthaft mit den Argumenten der Gegenseite und EU-Gegenentwürfen zu befassen? In ein paar Jahren wird es zu spät dafür sein.
ebo
18. Februar 2013 @ 13:05
@Tim Hey, ich fordere EU- und Euro-Referenden auch in Deutschland. Und dieser Blog hat sogar eine Kategorie “Alternativen”! Was aber nicht geht, ist, dass wir jetzt vier Jahre nach der Pfeife der Briten tanzen sollen, die vierzig Jahre alles blockiert haben und am Ende dann doch austreten!
Andres Müller
18. Februar 2013 @ 14:55
Grundsätzlich ist ein Staatenverbund aller Europäischen Länder von Vorteil, sei es wegen Industriestandards oder anderen Interessengemeinschaften für den Kontinent. Heute kann sich niemand mehr vorstellen -und das wird auch nirgends vertreten- dass man zurück zu mittelalterlichen Kleinstaaten solle mit Grenzen und Handelsbarrieren gleich an der Stadtmauer.
Das ein politisches Europa von ausschliesslich demokratischen Nationen auch eine demokratisch wählbare Führung haben müsste, sowie den Zuspruch durch Volksabstimmung, liegt auf der Hand. In den USA gibt es immerhin ein demokratisch gewählter Präsident mit Anhang. Für mich als Schweizer kann die Teilnahme der Schweiz an Europa unter solchen Umständen nicht gebilligt werden. Europa muss sich zuerst völlig neu konstituieren.
Tim
18. Februar 2013 @ 15:13
Interessant, wie unterschiedlich man doch die Realität sehen kann. Europa tanzt seit Jahrzehnten nach der Pfeife der Franzose und entwickelt sich gerade exakt in die Richtung, die sich Frankreich immer gewünscht hat. Die Briten haben keinesfalls “alles” blockiert, ganz im Gegenteil. Maggie Thatcher war entgegen langläufiger Meinungen eine große Europa-Befürworterin. Nur war sie eben nicht gewillt, jeden EU-Quatsch mitzumachen. Cameron hat sicher nicht mal ansatzweise das Format von Thatcher, aber er könnte in die Geschichte als derjenige eingehen, der die EU vor sich selbst gerettet hat. Wenn er klug vorgeht und die richtigen Bündnisgenossen findet, wird eine konsequent föderale EU eine Chance haben.
Europa muß mehr wie die Schweiz denken, also in starken Regionen. Eine starke Zentralregierung wird hingegen immer mehr Ablehnung produzieren, da es in Europa einfach noch längst kein gemeinsames politisches Bewußtsein der verschiedenen Bevölkerungen gibt. Die EU-Technokraten versuchen das auszublenden und arbeiten sogar völlig in dem Bewußtsein, daß nur die Technokratie ein geeintes Europa schaffen kann. Technokratie schafft aber nun mal keine Einheit.
ebo
18. Februar 2013 @ 15:18
@Tim Witzig, Du bist schon der zweite, der die EU als große Schweiz denkt. Das ist zwar durchaus sympathisch, aber ich fürchte, es wird der Sache nicht gerecht. Selbst die von Dir so heiß geliebten Briten sehen Europa nicht als Schweiz, sondern im Gegenteil als Anhängsel ihres alten Empire, mit dem sie Großmachtpolitik machen. Zuletzt geschehen im Irakkrieg. Haben natürlich alle Briten-Fans schon vergessen…
Tim
18. Februar 2013 @ 16:30
@ ebo
Ich bin nicht Briten-Fan, sondern Europa-Fan. Ich will ja auch nicht Cameron als EU-Diktator, sondern sehe seine momentane Aktivität als wahrscheinlich letzte Chance, die EU auf die richtige Spur zu bringen.
Und es geht mir auch nicht darum, die Schweiz 1:1 auf europäischer Ebene nachzubauen. Was wir aber brauchen, ist Schweizer Denken. Steuerlicher und regulativer Wettbewerb zwischen starken, unabhängigen Regionen – mit einem stabilen gemeinsamen Wertefundament und Zusammenarbeit dort, wo man es wünscht, das ist die Schweiz. Und das ist auch die Zukunft Europas.