Kleines Brevier der (Fake) Spitzenkandidaten

Die Europawahl beginnt. Am Donnerstag dürfen die Niederländer wählen gehen, am Sonntag auch die Deutschen. Die Parteien werben mit ihren Spitzenkandidaten – leider sind längst nicht alle echt.

Dies gilt vor allem für die Bewerberin der konservativen EVP, Ursula von der Leyen. Der frühere Parlamentspräsident Schulz nennt sie “Fake-Spitzenkandidatin” – denn sie bewirbt sich nicht um ein Abgeordnetenmandat und steht auch auf keinem Wahlzettel. Deshalb kann sie auch niemand wählen – außer den Staats- und Regierungschefs, die sie mehrheitlich schon abgesegnet haben. Die Wähler haben das Nachsehen.

Nicht richtig echt ist auch die Kandidatur von Nicolas Schmit, dem EU-Sozialkommissar. Auch er stellt sich nicht zur Wahl. Außerdem hat er keine realistische Chance, von der Leyen abzulösen. Seine Genossen hoffen, dass er in der nächsten EU-Kommission zum “Executive Vice President” aufsteigen könnte – oder zum Außenbeauftragten. Dafür müsste er aber in seiner Heimat Luxemburg nominiert werden – unwahrscheinlich.

Die Grünen treten gleich mit zwei Spitzen an: Terry Reintke und Bas Eickhout. Keine/r von beiden will wirklich Kommissionschef/in werden. Reintke hat zudem das Problem, dass sie kaum jemand kennt. Dies erklärt wohl auch, dass wilde Gerüchte auftauchen – etwa, dass Außenministerin Annalena Baerbock nach Brüssel wechseln könnte. Das wäre aber nur möglich, wenn VDL abtritt. Dann dürfen die Grünen den nächsten deutschen Kommissar stellen…

Noch doller treiben es die Liberalen mit gleich drei Spitzenkandidaten. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Valérie Hayer aus Frankreich und Sandro Gozi aus Italien. Damit führen sie das “Spitzenkandidaten-Prinzip” endgültig ad absurdum. Strack-Zimmermann kämpft denn auch nicht darum, von der Leyen abzulösen – sondern die FDP über der Fünf-Prozent-Schwelle zu halten. Dafür schießt sie scharf, wenigstens verbal…

Ehrlicher sind Linke, BSW, Piraten und die Partei-Partei. Sie treten gar nicht erst mit dem Anspruch an, die EU-Kommission zu führen. Allerdings haben auch sie (nationale) Spitzenkandidaten nominiert, womit sie das “Spitzenkandidaten-Prinzip” legitimieren. Dabei war es schon 2019 gescheitert, mit der Ernennung von der Leyens. Die Staats- und Regierungschefs besetzen die Spitzenposten in der EU, nicht die Wähler!

Vollends chaotisch läuft es in Frankreich und Italien. In Frankreich hat Präsident Macron zwar eine Spitzenkandidatin für die EU nominiert, greift jedoch selbst ständig in den Wahlkampf ein. Damit werden alle anderen Parteien übervorteilt, ein fairer Wahlkampf ist das nicht. Und in Italien präsentiert sich Regierungschefin Meloni selbst als Spitzenkandidatin, obwohl sie gar nicht nach von Rom nach Brüssel wechseln will…

All dies trägt zur Verwirrung der Wähler und zur Verzerrung des politischen Wettbewerbs bei. Doch das Europaparlament macht keinerlei Anstalten, bei den (Fake)Spitzenkandidaten für Ordnung zu sorgen. Es hält lieber die Illusion eines fairen demokratischen Wettbewerbs aufrecht, bei dem der Bürger die nächste EU-Kommission bestimmt…

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