Keine guten Optionen, viele markige Worte – und Sputnik V muß warten

Die Watchlist EUropa vom 12. Oktober 2021 –

Ursula von der Leyen gab sich kämpferisch. Das EU-Recht stehe über nationalem Recht, erklärte die Chefin der EU-Kommission nach dem Urteil des polnischen Verfassungsgerichts. „Mit allen Mitteln“ werde sie gegen das Verdikt aus Warschau gehen, erklärte die CDU-Politikerin in Brüssel.

Doch welche Mittel das sein könnten und wann sie zur Tat schreiten will, ließ von der Leyen offen. Dabei fordert das Europaparlament schon seit Wochen mehr Einsatz. Die EU-Abgeordneten haben sogar eine Untätigkeitsklage gegen die Kommission auf den Weg gebracht, damit endlich etwas passiert.

Dass von der Leyen immer noch zögert, hat mehrere Gründe. Zum einen verdankt sie ihre Wahl nicht zuletzt dem „starken Mann“ aus Polen, Jaroslaw Kaczynski. Der autoritäre Chef der Regierungspartei PiS machte 2019 erst nach Drängen von Kanzlerin Angela Merkel den Weg für von der Leyen frei. Merkel hatte eigens den CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak nach Warschau geschickt.

Zum anderen möchte die deutsche Kommissionschefin den ohnehin angespannten Gesprächsfaden mit Polen nicht endgültig zerreißen. Sie setzt, genau wie Merkel, auf Dialog. Ohne die Regierung in Warschau, das weiß man auch in Brüssel, wird sich von der Leyens Lieblingsprojekt, der „European Green Deal“, nicht umsetzen lassen.

Zwischen Routine und „Nuklearoption“

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Last but not least ist noch unklar, wie die polnischen Richter ihr Urteil begründen. Erst nach einer eingehenden Analyse der (noch ausstehenden) schriftlichen Urteilsbegründung will die EU-Kommission handeln. Dabei hat sie mehrere Optionen. Einige sind Routine, andere kommen einer „Nuklearoption“ gleich, so zerstörerisch können sie wirken.

Zur Routine gehört ein Vertragsverletzungsverfahren, wie es die Kommission auch nach einem Urteil der Karlsruher Verfassungsrichter eingeleitet hat. So könnte Brüssel versuchen, doch noch ein polnisches Bekenntnis zum EU-Recht zu erzwingen.

Mehr politischen Druck würde ein so genanntes Artikel-7-Verfahren entfalten. Damit könnte die EU Polen das Stimmrecht im Ministerrat entziehen, jedenfalls theoretisch. In der Praxis läuft dieses Verfahren, das 2017 schon einmal gestartet wurde, jedoch ins Leere, da es Einstimmigkeit erfordert – und die lässt sich kaum erzielen.

Auch Finanzsanktionen haben einen Haken

Mehr Wirkung verspricht der Umweg über den Geldbeutel. Schon jetzt hält die EU-Kommission die für Polen bestimmten 23,9 Milliarden Euro aus dem Corona-Aufbaufonds zurück – wegen ungeklärter rechtsstaatlicher Fragen. In einem nächsten Schritt könnte Brüssel sogar die begehrten Gelder aus den Strukturfonds für Warschau streichen.

Dazu müsste allerdings noch der neue Rechtsstaats-Mechanismus in Gang gesetzt werden, der Kürzungen bei Korruption oder anderen Gefahren für das EU-Budget vorsieht. Doch gegen diesen Mechanismus haben Polen und Ungarn vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt, die Verhandlung hat erst am Montag in Luxemburg begonnen.

Von der Leyen hat viele Optionen – doch kaum gute. Selbst die auf den ersten Blick viel versprechenden Finanzsanktionen haben einen Haken: Polen könnte sich dafür mit einem Veto bei wichtigen EU-Entscheidungen revanchieren. Der Rechtsstreit würde dann schnurstracks in eine politische Blockade führen.

Siehe auch „Polen stürzt EUropa in Verfassungskrise“

Die Watchlist

Baut die EU ihre Untrstützung für die Ukraine aus, auch militärisch? Dies soll sich beim EU-UKrsaine-Gipfel am Dienstag in Kiew zeigen. Ratspräsident Michel hat das Treffen mit markigen Worten vorbereitet: The summit will reaffirm the continued commitment to strengthening the political association and economic integration of Ukraine with the European Union, and the European Union’s unwavering support to Ukraine’s independence, sovereignty and territorial integrity. Klingt ziemlich martialisch, oder?

Was fehlt

Die Zulassung für den russischen Corona-Impfstoff Sputnik V. Die Schuld scheiben sich EUropäer und Russen nun gegenseitig in die Schuhe. Moskau habe immer noch nicht alle Datensätze geliefert und keinen Zugang zu Fabriken gewährt, heißt es in Brüssel. Die EU habe ihre Inspektionen immer wieder hinausgeschoben, hört man in Moskau. Nur im Ergebnis ist man sich einig: Dieses Jahr dürfte es nichts mehr werden mit der Zulassung durch die EMA. Wer mit Sputnik geimpft ist, steht bei Reisen in die EU dumm da…