Kandidat in Ketten

Kurz vor dem EU-Gipfel läuft alles auf Wahlsieger Juncker zu. Doch selbst wenn er schließlich zum Kommissionschef nominiert wird, geht dies weniger auf die Europawahl, als auf intransparente Absprachen im Hinterzimmer zurück. Selbst das Arbeitsprogramm wird Juncker diktiert.

Mit der Demokratie in der EU ist das so eine Sache. Wenn Europawahl ist, steht sie hoch im Kurs. Die Entscheidung über die Spitzenkandidaten Junker und Schulz wurde sogar zu einem historischen Ereignis hochstilisiert.

Doch kaum ist die Wahl vorbei, fallen die EU-Politiker in ihre vordemokratischen Rituale zurück. Diese Europawahl macht da leider keine Ausnahme Im Gegenteil: Vier Wochen nach der Abstimmung haben die Wähler allen Grund, sich noch mehr verschaukelt zu fühlen als sonst.

Wer tatsächlich geglaubt hatte, er könne nicht nur über Köpfe, sondern sogar über den Kurs der EU abstimmen, sieht sich auf ganze Linie getäuscht.

Hinterzimmer-Deal der GroKo

Statt Schulz ODER Juncker dürfte er nun BEIDE bekommen: den einen als Kommissionschef, den anderen als Parlamentspräsident. So hat es die Große Koalition in Berlin ausgemauschelt das neu gewählte Parlament wurde NICHT gefragt.

Transparent war das nicht, im Gegenteil: es war ein klassischer Hinterzimmer-Deal, wie er nach dieser Wahl eigentlich tabu sein sollte.

Und statt einer anderen EU-Politik zeichnet sich ein entschiedenes „Weiter so“ ab. Die Sozialdemokraten fordern zwar, ganz bescheiden geworden, mehr „Flexibilität“ beim Stabilitätspakt und mehr Zeit beim Schuldenabbau.

Doch die Konservativen halten mit mehr Liberalisierung und Privatisierung dagegen. So haben es Kanzlerin Merkel und der britische Premier Cameron bei ihrer Bootsfahrt in Schweden ausgekungelt.

Cameron fordert Entschädigung

Auch das war ein klassischer Hinterzimmer-Deal, auch wenn die schwedische Mittsommer-Sonne ein mildes Licht auf die Szenerie warf. Im Ergebnis dürfte Juncker – wenn er denn gewählt wird – an der konservativen Kette liegen.

Damit er gewählt wird, fehlt wohl nur noch ein Detail: Als „Entschädigung“ für seine Niederlage im Streit um Juncker fordert Cameron einen oder gar mehrere wichtige  Posten in der nächsten EU-Kommission.

Noch ist nicht klar, ob auch dieser Hinterzimmer-Deal rechtzeitig vor dem EU-Gipfel am Donnerstag zustande kommt. Klar ist jedoch schon jetzt, wer der Verlierer dieses intransparenten Geschachers ist: die europäische Demokratie.

Kein demokratischer Neubeginn

Nicht die Bürger hatten – wie versprochen – das letzte Wort. Vielmehr sind es wieder einmal die Staats- und Regierungschefs, die den Ton angeben. Die Chance auf einen demokratischen Neubeginn wurde vertan.

Besonders krass zeigt sich das in Deutschland, wo alles beim Alten bleibt: Oettinger bleibt EU-Kommissar, Schulz Parlamentspräsident. Es ist, als hätte die Wahl nie stattgefunden.

Inakzeptabel ist aber auch der Versuch des Rates, ein „Regierungsprogramm“ für die nächste EU-Kommission zu diktieren. Ratspräsident Van Rompuy hat sogar schon einen ersten Entwurf vorgelegt.

Wenn der angenommen wird, kann einem Juncker fast schon leid tun: Sein Amtsvorgänger Barroso durfte wenigstens noch sein Programm selbst formulieren – Juncker dagegen soll einem ungewählten Eurokraten folgen…

Dies ist die aktualisierte Fassung eines Kommentars, den ich in der  „taz“ veröffentlicht habe. Das Original steht hier