Ja zur Ukraine, Ja zu CETA – und noch mehr Macht für Brüssel

Die Watchlist EUropa vom 24. Juni 2022 –

Historisch, geopolitisch, bahnbrechend: Noch bevor der EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel begonnen hatte, schwelgten die Diplomaten in Superlativen. Mit dem Kandidatenstatus für die Ukraine und Moldau werde die EU Geschichte schreiben und Kremlchef Wladimir Putin in die Schranken weisen, sagte der Vertreter eines westlichen EU-Landes.

Nach Deutschland, Frankreich und Italien hatten auch die Skeptiker aus den Niederlanden und Dänemark den Weg für die beiden EU-Bewerber aus dem Osten freigemacht. Sogar Viktor Orban, der notorische Neinsager aus Ungarn, gab grünes Licht für den ersten, symbolischen Schritt zum Beitritt. Dem Gipfelerfolg, so schien es, stand nichts im Wege.

Tatsächlich einigten sich die 27 Staats- und Regierungschefs am Abend auf das lange erhoffte und bitter erkämpfte Signal: die Ukraine und Moldau wurden einstimmig zu Beitrittskandidaten ausgerufen. Sie stehen damit in einer Reihe mit der Türkei, der diese Ehre schon 199 zu Teil wurde, sowie Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien.

Selenskyjs Powerplay

___STEADY_PAYWALL___

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem “historischen Moment”. “Die Zukunft der Ukraine liegt in der EU”, schrieb Selenskyj nach seinem ebenso massiven wie erfolgreichen Powerplay. Auch EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola freute sich: Sie hatte zu Beginn des EU-Gipfels ein flammendes Plädoyer für die Ost-Erweiterung gehalten.

Doch ungetrübt war die Freude an diesem warmen Sommertag in Brüssel nicht. Der Westbalkan-Gipfel, den Ratspräsident Charles Michel vor dem eigentlichen EU-Treffen angesetzt hatte, endete mit einem Flop. Fast vier Stunden berieten die EU-Granden mit ihren Kollegen aus Serbien, dem Kosovo, Nordmazedonien, Albanien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina – ohne Ergebnis.

Dicke Luft nach dem Balkan-Gipfel

Die Eröffnung der Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien, für die sich Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Balkanreise eingesetzt hatte, bleibt weiter blockiert. Keine Bewegung gab es auch im Streit mit Serbien um die EU-Sanktionen gegen Russland. Am Ende wurde sogar die gemeinsame Pressekonferenz abgesagt – angeblich aus Zeitgründen. Es herrschte dicke Luft.

Der Westbalkan, der seit fast 20 Jahren von der „europäischen Perspektive“ träumt, fällt nun zurück in die Dauer-Warteschleife, ohne klare Zukunfts-Perspektive. Albanien und Nordmazedonien, die seit 2014 bzw. 2005 den Status des Beitrittskandidaten haben, könnten abgehängt werden. Albanien warnte die Ukrainer denn auch, sich auf dem Weg in die EU keine “Illusionen” zu machen.

Noch Jahre bis zu Verhandlungen?

Der Kandidatenstatus ist eben nur der erste Schritt auf dem langen Weg zur Vollmitgliedschaft. Danach kommt, oft Jahre später, die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen. Diese werden in 35 „Kapiteln“ zu Themen wie Wirtschaft oder Rechtsstaat geführt, wobei es nicht nur voran, sondern auch rückwärts gehen kann.

Die Gespräche können sogar auf Eis gelegt werden, wie in der Türkei. Dort geht seit Jahren gar nichts mehr, neuerdings führt sich Sultan Erdogan sogar wie ein Feind der EU auf und bedroht wahlweise Griechenland, Zypern oder Frankreich. Derzeit blockiert er den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden.

In diesem Streit zeichnet sich übrigens auch keine Lösung ab…

Siehe auch meinen Kommentar “Mit der Ukraine auf die schiefe Ebene”. Mehr zur Erweiterung hier

Watchlist

Sagt Berlin Ja zu CETA? Die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP wollen das lange umstrittene Handelsabkommen der EU mit Kanada durch den Bundestag bringen. Das teilten Vertreter der drei Koalitionsfraktionen mit. Dazu wollen sie allerdings Nachbesserungen an dem bereits ausgehandelten Abkommen erzielen. Dabei geht es laut Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge zum Beispiel um die Regelungen zu Investor-Schiedsgerichten, die “entschärft” werden sollten.

Was fehlt

Mehr Macht für die EU-Kommission. Die Behörde soll das Recht erhalten, einen EU-weiten Gesundheitsnotstand auszurufen und damit ein koordiniertes Vorgehen etwa beim Kauf und der Lagerung von wichtigen Gütern auszulösen. Die Einigung ist Teil eines Pakets für eine “Gesundheitsunion”, das der EU deutlich mehr Kompetenzen in Gesundheitsfragen verschafft. Das ist erstaunlich, denn von der Leyen hatte den Beginn der Corona-Pandemie verschlafen und danach viel Geld für Impfstoffe verschleudert…