Luxemburg am Pranger, Borrell im Kreuzverhör – und der türkische Nawalny

Die Watchlist EUropa vom 09. Februar 2021

Sieben Jahre nach dem Finanzskandal um die „LuxLeaks“ steht Luxemburg erneut am Pranger. Diesmal geht es um den Vorwurf, die „Steueroase Luxemburg“ erlaube es Großkonzernen und vermögenden Personen, Milliardengewinne in das Großherzogtum zu verschieben und Steuern zu sparen. Die Regierung Luxemburgs wies die Vorwürfe zurück, die Brüsseler EU-Kommission gab sich überrascht.

Die „LuxLeaks“ waren 2014 kurz nach Amtsbeginn des damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker bekannt geworden. Sie zeigten, das Firmen wie Apple, Amazon oder die Deutsche Bank in Luxemburg aggressive Steuervermeidungs-Modelle aufgebaut hatten. Juncker und seine Behörde gelobten nach dem Skandal Besserung und führten eine „schwarze Liste“ mit Steuerparadiesen ein.

Doch auf dieser Liste stehen nur Länder außerhalb der EU. Luxemburg, die Niederlande oder Malta, die oft wegen besonders vorteilhafter Konditionen für Kleinanleger und Großkonzerne auffallen, sind nicht gelistet. Brüssel drückt bei seinen eigenen Mitgliedsstaaten ein Auge zu – was nach Auffassung von Kritikern zu massiven Steuerausfällen und einer Verzerrung des Wettbewerbs führt.

55.000 Briefkastenfirmen

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Mehrere europäische Zeitungen, darunter die „Süddeutsche“, haben sich nun Luxemburg vorgeknöpft. Bei ihrer Recherche haben sie herausgefunden, dass 55.000 Briefkastenfirmen im Großherzogtum Anlagen im Gesamtwert von mindestens 6500 Milliarden Euro in Sicherheit gebracht haben. Diese Summe übersteigt das Bruttoinlandsprodukt Luxemburgs von 2019 um mehr als das hundertfache.

Deutschland entgingen so Steuern in Milliardenhöhe, schreibt die Zeitung. Auch Belgien blutet finanziell aus. Rund 10.000 Belgier haben der „OpenLux“-Recherche zufolge eine oder mehrere „Offshore“-Firmen in Luxemburg gegründet. Das sind doppelt so viel wie die 4600 Deutschen, die sich im Großherzogtum tummeln. Vorneweg sind aber die Franzosen (rund 14.700 Fälle).

Die Zahlen stützen sich auf ein Transparenzregister, das Luxemburg nach den „LuxLeaks“ angelegt hat. Allerdings seien die Angaben oft fehlerhaft, moniert die „SZ“. Darüber hinaus fänden sich etliche „fragwürdige Gestalten als Firmeneigentümer“, etwa ein Waffenhändler, der Anführer einer der größten russischen Mafia-Clans oder Menschen mit Verbindungen zur italienischen ‚Ndrangheta.

„Unbegründete Behauptungen“

Luxemburg wies die Vorwürfe „entschieden“ zurück. Die Gesetzgebung stehe „in vollem Einklang mit allen internationalen Vorschriften und Transparenzstandards“. Die Autoren von „OpenLux“ hätten „eine Reihe von unbegründeten Behauptungen“ über die luxemburgische Wirtschaft und den Finanzplatz aufgestellt. Im übrigen habe die EU keine schädlichen Steuerpraktiken festgestellt.

Die EU-Kommission äußerte sich ausweichend. Man werde sich die Enthüllungen sehr genau anschauen, sagte der Sprecher von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie enthielten „wichtige Elemente“, für eine Bewertung sei es aber noch zu früh. Die Brüsseler Behörde betonte, dass sie selbst „proaktiv“ gegen Steuervermeidung vorgehe und international die „höchsten Standards“ verteidige.

Doch wie kann es dann sein, dass man Steuerparadiese in der EU duldet? Luxemburg ist ja bei weitem nicht das einzige Beispiel…

Siehe auch „Konzerne sparen Steuern, Scholz deckt sie“

P.S. Luxemburg ist sehr schnell in die Gegenoffensive gegangen. Die Regierung hat sich sogar die Internet-Domain „Openlux.lu“ gesichert. Wer darauf klickt, landet bei einer offiziellen Gegendarstellung!

Watchlist

Muß der EU-Außenbeauftragte Borrell gehen? Dies dürfte sich am Dienstag bei einem Kreuzverhör im Europaparlament zeigen. Die Mehrheit der Abgeordneten fordert schon seit langem einen härteren Kurs gegen Russland. Doch bei einer Visite in Moskau erwies sich Borrell als schwacher Diplomat. Dabei sollte er doch der Champion der “geopolitischen Kommission” sein, die von der Leyen führt. Nun sieht sich der Spanier sogar mit ersten Rücktritts-Forderungen konfrontiert. Bereits mehr als 70 Europaabgeordnete fordern seine Ablösung. Noch steht von der Leyen hinter ihm… – Mehr hier

Hotlist

  • Alle reden über Nawalny, niemand spricht von Ozdemir. Dabei schafft der türkische Journalist ebenfalls eine wichtige Gegenöffentlichkeit – nur eben in der Türkei. So enthüllte er im November den Rücktritt von Finanzminister Berat Albayrak, den die offiziellen Medien am liebsten verschwiegen hätten. Den Hintergrund liefert das „MiddleEastEye“: Nearly 85 percent of news media is controlled by government-aligned corporations, and Turkey has been sliding downhill in press freedom indexes for nearly a decade, becoming neighbours of repressive countries such as Belarus and Rwanda in the rankings. – Hat es deshalb schon ‚mal EU-Sanktionen gegeben?
  • Ist das Impfdebakel nur auf übertrieben hohe Erwartungen zurückzuführen? Diese These vertritt Clemens Auer, der für die Regierungen die Impfstoff-Bestellungen der EU überwacht hat. Er weist die Kritik am Vorgehen Brüssels zurück, rügt aber das große „Hurra“ am Anfang der Kampagne. An den neuen Zusagen des Herstellers Astra Zeneca zweifelt er. – Das Interview in der „Süddeutschen“ steht hier. Es ist ein Beispiel für die Bräsigkeit und Selbstgefälligkeit, mit der die EU-Staaten an dieser lebenswichtige Thema herangegangen sind!
  • Und jetzt die gute Nachricht: Fewer than half of French citizens trust that their government will be up to the task when it comes to coronavirus vaccinations, but more have faith in the EU, a survey has found. In a Harris Interactive/Euros Agency poll, obtained exclusively by POLITICO, just 45 percent of respondents said they trusted the French state to handle vaccination while 52 percent said they trusted the EU on that matter. – Der Bericht von „Politico“ steht hier. Die Umfrage überrascht nicht, da die Franzosen ihrer Regierung eh kaum noch vertrauen!