Hat Juncker eine eigene Türkei-Politik?
EU-Kommissionschef Juncker warnt vor einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Einen solchen Schritt hielte er für „einen schwerwiegenden außenpolitischen Fehler“. Ach ja?
Bisher hat Juncker keine eigenen Akzente in der Türkei-Politik gesetzt. Das Land am Bosporus wurde nur wegen der Flüchtlingskrise hofiert; den Deal fädelte Kanzlerin Merkel ein.
Dass Juncker nun außenpolitisch argumentiert, kommt deshalb überraschend. Hat der Luxemburger plötzlich eine eigene Türkei-Politik? Dazu fünf Thesen:
- Nein, Juncker verletzt sogar sein Mandat. Denn die EU-Kommission muss bei Beitrittskandidaten wie der Türkei darüber wachen, dass sie die Grundwerte der EU einhalten.
- Nein, Juncker ist durch sein Mandat gebunden. Und das sieht lediglich vor, dass er die Beitrittsverhandlungen vorantreibt, solange es keine Mehrheit für den Abbruch gibt.
- Nein, Juncker folgt nur Deutschland. Nachdem seine eigene Flüchtlingspolitik gescheitert ist, ist Merkel seine letzte Hoffnung – einen eigenen Kurs hat er nicht.
- Nein, Juncker folgt nur den USA. Die liegen zwar im Clinch mit Erdogan, wollen aber nicht auf ihren Nato-Partner verzichten – selbst, wenn der Sultan eine Diktatur errichtet.
- Ja, Juncker hat eine außenpolitische Vision: Er will die Türkei und Russland an die EU binden. Er sieht weiter als Erdogan und möchte die EU zu einem globalen Player machen.
Meiner Meinung nach treffen es 3 und 5 am besten. Juncker ist abhängig von der deutschen Türkei-Politik, würde aber gern den global Leader spielen. Doch niemand nimmt ihn ernst…
Peter Nemschak
7. August 2016 @ 09:58
@ebo Es stellt sich die Frage, ob die Mehrheit wirklich einen Politikwechsel will, schon gar nicht einen, der zu ihren Lasten geht? Dass die Mehrheit den Zuzug von Migranten beschränken will, scheint mit Ausnahme von Merkel, die sich nach wie vor gegen eine Obergrenze wehrt, mittlerweile klar zu sein, ebenso, dass die Mehrheit den Weg in die Richtung eines europäischen Bundesstaates ablehnt. Letzterer ist nicht alternativenlos. Die Beibehaltung nationalstaatlicher Einheiten, die Möglichkeit aus dem Euro auszutreten sowie eine sinnvolle Beschränkung der Binnenmigration zur Vermeidung von Sozialstaatsarbitrage (Stichwort: Solidaritätsabgabe für Zuzügler aus schwach entwickelte in stark entwickelte Sozialsystem) sind durchaus akzeptable Alternativen zum europäischen Bundesstaat. In so einer Konstruktion könnte die EU z.B. bei einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine sinnvolle Rolle spielen. Die von mir genannte Alternative würde dem Rechtspopulismus viel Wind aus den Segeln nehmen.
Peter Nemschak
6. August 2016 @ 15:15
@paul7rear Wir sollten nicht so überheblich sein, uns von Begriffen aus der Zoologie zu distanzieren. Xenophobie ist bei vielen Menschen mobilisierbar und wird von den Rechten bloß instrumentalisiert. Kritik an der Politik muss bei den Menschen ansetzen, die sie machen und für die sie gemacht wird.
Johannes
5. August 2016 @ 13:52
Hahahahahaha, Juncker, hahahaha, die EU, hahahaha. OMG, die merken alle gar nichts mehr, oder? Hahahaha.
Gott, macht euch doch mal ehrlich, unfassbar, die wollen die Türkei immer noch in ihrem Club dabei haben.
Mein Gott haben die ALLE Angst vor Erdogan, man, diese Angst muss wirklich sehr sehr tief sitzen.
Aber hey, wir müssen das positive sehen! Erdogan zeigt uns, wie aoszial wir Bürger uns gegenüber den CDU, CSU und SPD Politikern und Parteimitgliedern aufführen dürfen *heheheehehe.
Ernsthaft jetzt, das ist eben die EU …… hahahahaha, stimmt, die EU, hahaha, die kann man doch nicht mehr ernst nehmen *haha
PS: Ich weiß, ich war jetzt viel zu ernst
S.B.
5. August 2016 @ 11:14
Thesen 1 bis 3. Nicht zutreffend.
These 4: Sehr zutreffend. Aus dem gleichen Grund hält auch Merkel an dem Türkei-Deal fest. http://www.spiegel.de/politik/ausland/peter-altmaier-zum-eu-tuerkei-fluechtlingsdeal-keinen-grund-fuer-einen-plan-b-a-1106228.html Nun muss man das Ganze nur noch in der Reihenfolge geraderücken: Merkel folgt den USA und Junker Merkel.
These 5: Völlig ausgeschlossen, dass Junker eine Vision hat. Alkoholbedingte Halluzinationen ja, aber Visionen… Never!
hyperlokal
5. August 2016 @ 11:06
Es gibt natürlich eine Alternative zur unsäglichen Appeasement-Politik von Junker oder Merkel gegenüber Erdogan: Sanktionen!
Z.B. der gute Vorschlag von Augstein: Doppelte Staatsbürgerschaft abschaffen. Und natürlich jede Menge wirtschaftliche Möglichkeiten.
Aber das will parout niemandem einfallen. Nichteinmal unseren Mainstream-Pudel, die bei Putin eifersüchtig darüber wachen, dass Sanktionen gegen Russland beibehalten werden. Im Fall der Türkei werden sie auf dagegen total begriffsstutzig bei dem Thema.
Wenn man sieht, wie flexibel Erdogan ist, wenn es um kurzfristige Vorteile geht, fragt man sich, warum dieses Instrument nicht genutzt wird. Der Mann kann sich schließlich flexibel ganz schnell umorientieren. Gestern noch hat er ein russisches Jagdflugzeug abgeschossen, heute ist er best friend of Wladimir Putin.
Peter Nemschak
5. August 2016 @ 12:33
So ist es, das muss man zur Kenntnis nehmen, zwischen zwei Autokraten: es gilt Pack schlägt sich, Pakt verträgt sich.
Peter Nemschak
5. August 2016 @ 10:21
Junckers Politik macht Sinn. Das Wertegeschrei von der Linken (zuletzt der österreichische Bundeskanzler Kern und die Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Jelinek) wird uns nicht weiterbringen. Was die Leute wollen, ist eine Obergrenze für Flüchtlinge, nicht mehr und nicht weniger. Die sinkenden Umfragewerte für Merkel und steigenden für Seehofer zeigen, dass die Bürger mehrheitlich einen Einwanderungsstop für Flüchtlinge und andere Migranten wollen. Geo- und sicherheitspolitisch bleibt die Türkei für die EU ein wichtiger Partner, ebenso wirtschaftlich. Da darf sich die EU nicht von einer Minderheit von Wertepuristen irritieren lassen. Internationale Politik ist Realpolitik. Sonst dürften die Mitgliedsländer der EU mit vielen autoritären Staaten keine Beziehungen unterhalten.
ebo
5. August 2016 @ 10:28
Sie stellen die Wahrheit auf den Kopf. Das so genannte Wertegeschrei der Linken ist kaum vernehmbar und im übrigen im EU Vertrag begründet. Kern & Co geben, wie übrigens auch Merkel und Cameron, dem Druck der nationalistischen und xenophoben Rechten nach. Juncker ist hin und hergerissen und steckt de facto den Kopf in den Sand, er entscheidet und handelt seit Wochen nicht mehr…
paul7rear
5. August 2016 @ 11:34
@ebo
Xenophobie ist ein zoologischer Begriff für die natürliche Vorsicht des Tieres vor Veränderungen des direkten Umfeldes. Die Xenophobie ist also das rein natürliche Schutzelement welche das Überleben der Kreatur sicherstellt. Da es mir widerstrebt Menschen mit zoologischen Begriffen zu klassifizieren sollten wir bei der allgemeinen Beschreibung „Rassismus“ bleiben.
Junkers Linie entspricht exakt dem bisherigen NATO-Standpunkt, was eigentlich nicht besonders verwunderlich ist schließlich ist Brüssel nicht nur der Sitz von EU-Institutionen. Es geht seit dem Vertrag von Sèvres nur um den Bosporus und die Dardanellen. Der uneingeschränkte Zugang zum schwarzen Meer und somit die Kontrolle über die russische Schwarzmeerflotte.
https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_von_S%C3%A8vres_(Osmanisches_Reich)#/media/File:Treaty_sevres_otoman_de.svg
Peter Nemschak
5. August 2016 @ 12:31
@ebo Der Wertewandel betrifft auch den Wertekatalog der EU, der in ruhigeren Zeiten als es um nichts ging, formuliert wurde. Eine nachhaltige Beziehung zur Türkei trotz Erdogan liegt im realpolitischen Interesse der EU. In der internationalen Politik sind Werte relativ. Wenn etwas stört, dann das zögerliche Hin und Her nicht nur von Juncker und vor allem der Mangel an proaktiver Sicherheitspolitik der EU. Warum sollen die Verhandlungen mit der Türkei wegen EU-Beitritt abgebrochen werden, auch wenn sich die Türkei in den letzten Jahren vom Ziel entfernt hat? Übrigens, mit dem Verweis auf den EU-Wertekatalog können Sie wahrscheinlich heute in keinem EU-Land Wahlen gewinnen.
Cottin
5. August 2016 @ 20:17
Ebo ich gebe dir meine Zustimmung, und ich finde, dass diese Debatte( auch Mainstream) mal klar angesprochen werden muß. ..! Wieso geht keiner der Politker mal an die Wurzel , immer versucht man dies tot zureden ! Der ISIS und der Sultan/ Erdogan spaltet unsere Wertevorstellung in D- Land und Europa. Wir muessen doch nun dieser sehr rechten Bewegung stand halten. Vielleicht mal gelassen und mit Nächstenliebe ! ( Bin kein religöser Mensch), Aber ansonnsten zerfleischen wir uns in dem Gut der Werte.
Peter Nemschak
6. August 2016 @ 08:44
@ebo Die xenophobe Rechte ist nicht das Problem sondern die schweigende Mehrheit in der Mitte. Sie mag zwar keinen Hass gegen Migranten haben, empfindet sich aber durch diese gestört. Die Palette reicht von bequemer Gleichgültigkeit bis zur Belästigung durch den Anblick von Bettlern im Straßenbild. Die gesellschaftliche Mitte möchte keine zusätzlichen Migranten, welche ihre gewohnten Bahnen stören könnten. Wir leben in einer lange vom Krieg verschonten, satten und selbstzufriedenen Gesellschaft. Wer glaubhaft machen kann, keine zusätzliche Migranten ins Land zu lassen, wird die nächsten Wahlen gewinnen.
ebo
6. August 2016 @ 20:58
@Nemschak Natürlich ist die xenophobe Rechte das Problem, genau wie die Große Koalition, die seit Jahren in Brüssel, Berlin und Wien herrscht. Das Kartell der Parteien der Mitte verhindert jeden Politikwechsel und macht Demokratie zur Farce. Die xenophobe Rechte spielt sich als Verteidigerin der nationalen Demokratie gegen „Brüssel“ auf und hetzt gegen die „Fremden“ – und zwar solange, bis die GroKo die Politik der Rechten übernimmt. So geschehen in Wien, Berlin und Brüssel. In London haben die xenophoben und nationalistischen Parolen sogar zur Spaltung der Tories und zum Brexit geführt!
Claus
5. August 2016 @ 10:00
Auch 3 halte ich für unwahrscheinlich. Vermutlich hat Juncker zur Kenntnis genommen, daß Merkels „Flüchtlingspolitik“ zu einem nicht unwesentlichen Teil zum Brexit beigetragen hat, sie auf EU-Ebene nicht durchsetzbar und längst als begraben anzusehen ist und immer noch jede Menge Zündstoff für den weiteren EU-Zerfall birgt. Was soll Juncker da hoffen, außer daß ihn das alles in seinem hoffentlich baldigen Ruhestand nicht mehr tangieren wird?