Déjà vu im deutschen EUropa
Vor einem Jahr inszenierte die deutsche Öffentlichkeit das griechische “Schuldendrama”. Europa spielte nur eine Nebenrolle, die Realität auch. Ähnliches erleben wir nun mit der Türkei.
Seit dem Putschversuch vergeht kaum noch ein Tag, an dem Politik und Medien nicht Präsident Erdogan und seine Manöver zum Topthema machten. Jeder Schachzug des Sultans wird breit kommentiert.
Nicht kommentiert wird hingegen die Rolle von Kanzlerin Merkel, die Erdogan überhaupt erst in die Schlüsselrolle gehievt hat. Sie war es auch, die die Visa-Liberalisierung zur Verhandlungsmasse machte.
Das war ein Fehler. Schließlich haben die EU und die Türkei schon lange vor dem Flüchtlingsabkommen über die Visafrage diskutiert; beide Themen haben sachlich nichts miteinander zu tun.
Man könnte sie also voneinander trennen – und Erdogan so ein wichtiges Druckmittel nehmen. Das hieße aber auch, den Merkel-Erdogan-Deal aufzudröseln, zumindest in Frage zu stellen.
Doch genau das wagt die deutsche Öffentlichkeit nicht. Auch die EU in Brüssel kommt nicht auf diese Idee. Es ist wie vor einem Jahr mit Griechenland: Über die eigenen Fehler spricht man nicht.
Und über Alternativen zum deutschen Kurs – etwa eine Stärkung Griechenlands, einen Plan B – schon gar nicht…
Illoinen
6. August 2016 @ 09:27
Warum werden nicht endlich die Ursachen für die vielen Flüchtlinge bekämpft, dann bräuchte man niemandem, Aber der Westen, hat schon immer gerne in aller Welt Schäden angerichtet, aber dafür gerade stehen, für die Schäden die man selber angerichtet hat, wollte und will der Westen nicht aufkommen. Das hat schon einmal in Deutschland nach dem 2 WK geklappt, warum nicht jetzt auch wieder.
Peter Nemschak
4. August 2016 @ 12:53
Wie soll Griechenland in Sachen Flüchtlingsmigration konkret gestärkt werden? Mehr Geld? Mehr Schiffe? Die Türkei braucht die EU aus wirtschaftlichen Gründen und die EU die Türkei, um ihr die Flüchtlinge vom Hals zu halten. Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Türkei von der EU sollte ausreichen, um Erdogans Ambitionen in Grenzen zu halten. In Sachen Visafreiheit braucht die EU nicht nachzugeben. Allerdings sollte sie auch nicht unnötig die Spannungen mit der Türkei verstärken. Eine Politik der ruhigen Hand ist angesagt.
Claus
4. August 2016 @ 12:02
„Doch genau das wagt die deutsche Öffentlichkeit nicht“ Subsumiert man darunter das Merkel-Regime mit ihren medialen Hofschranzen mag das schon stimmen. Berücksichtigt man den inzwischen signifikanten Anteil der Öffentlichkeit, der weder Frau Merkel als Kanzlerin noch die EU-Mitgliedschaft oder -Visafreiheit für die Türkei haben möchte und sich zunehmend Gehör verschafft, ist diese Aussage fraglich.
In der Tat wagt es der überwiegende Teil der Medien nicht, den Finger in die Wunden zu legen, schreibt am Publikum vorbei und wundert sich lieber über existenzbedrohe Auflagenrückgänge.
Es scheint, dass Publizisten erst dann Klartext schreiben (dürfen), wenn sie nicht mehr im Lohn und Brot der Mainstream-Medien stehen. Beispiel:
http://www.rolandtichy.de/meinungen/der-wilde-mann-vom-bosporus-wie-sich-hybris-gegen-sich-selbst-kehrt/
Daher: “Journalismus ist, etwas zu veröffentlichen, was andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird. Alles andere ist Propaganda.”
George Orwell
Skyjumper
4. August 2016 @ 09:30
“Und über Alternativen zum deutschen Kurs – etwa eine Stärkung Griechenlands, einen Plan B – schon gar nicht…”
Nun ja, wie man vorgestern aus Brüssel hören durfte hält man dort einen Plan B nicht für erforderlich. Der O-Ton lautete; “Wir haben einen Plan A den wir verfolgen und zur Umsetzung bringen werden”
Da zwingt sich als déjà vu eigentlich eher die Zeit vor dem Brexit-Votum auf, wo man die Möglichkeit des Brexit ja auch kategorisch ausgeschlossen hatte.
“Sie war es auch, die die Visa-Liberalisierung zur Verhandlungsmasse machte.”
Hier musss man wohl, um der Wahrheit die Ehre zu geben, einfach stehen lassen, dass es Erdogan war der die Visa-Liberalisierung zum Preisbestandteil des Deal’s machte. Wenn Deal, dann Visa-Liberalisierung. Eine andere Wahl gab es da nie. Ich mache Merkel lediglich zum Vorwurf dass sie auf den Deal einging. Und der EU, dass sie Merkel folgte.
Darüber hinaus sollten wir zur Kenntnis nehmen das wir uns mitten im Sommerloch befinden. Und da Hintergrundrecherchen/stories im Journalismus ja ausgestorben sind gibt es kaum was anderes um den Platz zwischen den Werbeanzeigen zu füllen.
Peter Nemschak
4. August 2016 @ 13:02
Als Merkel den Deal einging, war die Situation in der Türkei eine andere. Daher muss gegebenenfalls neu verhandelt werden, weil die Vertragsgrundlage eine andere ist. Wenn Erdogan den Vertrag bricht, wird man wirtschaftliche Druckmittel überlegen müssen. Bei der Visafreiheit sollte man aus Gründen der Glaubwürdigkeit nicht nachgeben. Noch ist es nicht so weit. Derzeit wird noch gepokert. So ist eben Realpolitik. Die Mehrheit der Europäer möchte von einer Massenwelle an Flüchtlingen verschont bleiben. Daran und nicht an irgend welchen Wertekatalogen werden Regierungen in der EU von den Wählern gemessen.
S.B.
5. August 2016 @ 13:43
“Daran und nicht an irgend welchen Wertekatalogen werden Regierungen in der EU von den Wählern gemessen.” – Genauer gesagt ist der Wertekatalog der bestens (zwangs-) versorgten Politik-“Eliten” und ihrer Gefolgschaft, eben nicht der von Otto-Normal-Bürger, der jeden Tag schauen muss, wie er über die Runden kommt. Anders ausgedrückt: Der Wertekatalog der Politik-Eliten ist nicht praxistauglich. Eine ganz schlechte Voraussetzung, um gute Realpolitik zu machen, die den Wählern dient.