“Größte Bewährungsprobe” – für Merkels Politik
Die Coronakrise stellt die EU nach Auffassung von Kanzlerin Merkel “vor die größte Bewährungsprobe seit ihrer Gründung”. Doch ausgerechnet beim Geld soll das nicht gelten. Beim Treffen der Eurogruppe droht ein Eklat.
Der Chef der Eurogruppe, Mário Centeno, gibt sich optimistisch. Bei der Sitzung der Finanzminister am Dienstag werde man über alle möglichen Instrumente gegen die Wirtschaftskrise sprechen, sagt der Portugiese – auch über Coronabonds.
Doch Deutschland und die Niederlande sehen das anders. Coronabonds und andere Formen der gemeinsamen Verschuldung sind für Bundesfinanzminister Scholz und seine Kollegen tabu. Die Niederlande würden Italien sogar lieber Geld schenken, als sich auf Coronabonds einzulassen, hieß es zuletzt in Den Haag.
In einem gemeinsamen Editorial von Scholz und Außenminister Maas für eine italienische Zeitung taucht das Wort Coronabonds nicht einmal mehr auf. Auch Merkel nahm das Wort bei ihrer EU-Rede am Montag nicht in den Mund. Sie fordert zwar “mehr Europa” – aber nicht beim Geld.
Ganz anders Frankreich. Finanzminister Le Maire bekräftigte, dass es ohne finanzielle Solidarität nicht gehen wird. Er droht sogar, das Treffen der Eurogruppe platzen zu lassen, wenn sich die Finanzminister nicht ausdrücklich für einen europäischen Solidaritätsfonds aussprechen.
Für einen solchen Fonds haben sich auch Sozialdemokraten und Grüne im Europaparlament ausgesprochen. „Letztlich braucht man Coronabonds, die einen Fonds finanzieren“, sagte der grüne Finanzexperte Sven Giegold.
„Wir brauchen ein klares Bekenntnis zur Weiterentwicklung des europäischen Projekts“, forderte Jonás Fernandéz, ein sozialistischer Europaabgeordneter aus Spanien. Der französische Plan sei die beste Basis. Andere Vorschläge – wie der Einsatz des Euro-Rettungsfonds ESM – seien nicht geeignet, da sie jedem Land ein Vetorecht geben.
Doch genau das ist wohl der Grund, weshalb Deutschland den ESM favorisiert: Berlin hätte bei der Vergabe von Krediten das letzte Wort, der deutsche ESM-Chef Klaus Regling behielte die Aufsicht. Um die Vorbehalte auszuräumen, will Scholz nun sogar auf die üblichen strikten Konditionen – Sparkurs, Sozialkürzungen etc. – verzichten.
Doch das dürfte nicht ausreichen, um Frankreich, Italien und Spanien vom ESM zu überzeugen. Sie wollen ein Signal der Solidarität – auch und gerade von Deutschland. Wenn das nicht kommt, droht die “Bewährungsprobe” in eine offene Krise umzuschlagen – für Merkel und ihr deutsch geführtes EUropa…
Siehe auch “Solidarität à la Scholz und Merkel”
Freiberufler
7. April 2020 @ 12:29
Es ist erst wenige Wochen her, da beschlagnahmten sich die EU-Staaten gegenseitig medizinische Ausrüstung, erließen Ausfuhrverbote und schlossen unilateral Grenzen. Die in Stein gemeißelte ewige Schicksalsgemeinschaft war umgeklappt wie die Kulissen eines Potemkinschen Dorfes. Nun soll durch Schuldenvergemeinschaftung die große Solidarität geübt werden.
JSFarinet
8. April 2020 @ 15:57
Das stimmt. Aber dann muss man sagen: Nichts wie raus aus dem sinkenden Schiff. Und die grössten Verlierer werden diejenigen sein, die jetzt am meisten Angst um ihre € haben.
Wenn man noch irgendetwas retten will, dann gibt’s keine Alternative zu den Eurobonds. Die sind legal möglich, wirtschaftlich absolut sinnvoll und politisch notwendig.
Kleopatra
7. April 2020 @ 08:48
Verlorene Zuschüsse (“Geschenke”) wären unter Umständen gar keine schlechte Idee, wenn sie hoch genug sind; denn für den Geber haben sie den Vorteil, dass er von vornherein weiß, wieviel sie ihn kosten, und sie werden jetzt gegeben, zu einem Zeitpunkt, wo jedem der Anlass bewusst ist. Bürgschaften werden dagegen möglicherweise irgendeinmal schlagend, wenn die gegenwärtige Krise vorbei ist und sich niemand mehr an den Anlass erinnert; dann würden sie vor allem böses Blut erzeugen.
Der ESM bietet nicht eigentlich jedem Land ein Vetorecht, sondern meines Wissens bildet ein gewisser Kapitalanteil eine Sperrminorität. So dass große Länder allein einen Beschluss blockieren können, kleinere mit kleinem Kapitalanteil nicht.
Insgesamt zeigt dieser gegenwärtige Streit, dass es keineswegs egal ist, wie ein Vertrag ausgestaltet wird. Wäre der Vertrag über die Währungsunion anders formuliert, wäre das Problem vielleicht längst gelöst. Ein Grund, weshalb man Verträge nicht eilig abnicken sollte, um in einem prächtigen Saal etwas unterschreiben zu können. Allerdings sollten sich auch die, die jetzt etwas fordern, worauf ihnen kein Vertrag Anspruch gibt, an die eigene Nase fassen [zumindest metaphorisch] und anerkennen, dass sie nur höflich bitten können. Auch Spanien, Frankreich und Italien haben den Maastrichter Vertrag ratifiziert, und das hätten sie nicht zu tun brauchen. Der Versuch, öffentlich Druck zu machen, führt bei der Hinterzimmerpolitikerin Merkel im Zweifel zur vollständigen Blockade; und ihr Finanzminister wird keinen Corona-Bonds zustimmen dürfen, da dies gegen die Merkel vorbehaltenen Richtlinien ihrer Politik verstoßen würde.
ebo
7. April 2020 @ 08:59
Der ESM ist eine intergouvenementale Organisation außerhalb des EU-Rechts. Die EU-Kommission und das Europaparlament haben dort nichts zu melden, den Ton geben die Staaten an. Wenn Deutschland etwas nicht will, dann passiert es auch nicht. Wenn Deutschland eine Überwachung will, dann schickt sie ESM-Chef Regling. So enfach ist das, der Kapitalanteil spielt in der Praxis kaum eine Rolle.
Was gemeinsame Anleihen betrifft: Es hat sie schon gegeben und es wird sie auch wieder geben. Aktuell können sie auf Basis von Art. 122.2 des Vertrages eingeführt werden, als Nothilfe zwischen den Mitgliedsstaaten. Für Juristen findet sich ein guter Beitrag im Verfassungsblog: https://verfassungsblog.de/the-case-for-corona-bonds/
Kleopatra
7. April 2020 @ 11:54
Ich bezweifele nicht, dass gemeinsame projekt- oder anlassbezogene Finanzierungen möglich sind. Die Verträge machen es aber offenbar möglich, dass ein Einzelstaat sie blockiert. Dass der ESM keine EU-Einrichtung ist, ist klar. Der ESM hat einen Kapitalschlüssel, bei dem Deutschland und Frankreich allein über die Sperrminorität von 20 % verfügen; und das deutsche sogenannte ESM-Finanzierungsgesetz verpflichtet die deutschen Vertreter, alle Beschlüsse abzulehnen, denen nicht der Bundestag oder sein Haushaltsausschuss zugestimmt haben. (etwas vereinfacht nach der Wikipedia etc.). Insofern stimmt es, dass Deutschland hier einen bestimmenden Einfluss zementiert hat. Da das einerseits durch ein deutsches Gesetz, andererseits durch einen Vertrag fixiert ist, kann die Bundesregierung noch nicht einmal einfach davon abgehen; es wäre eine Änderung des einschlägigen Gesetzes nötig. Aber für die Höhe der beiden Sperrminoritäten kommt es auf den Kapitalanteil an. Die Grenzen sind 20 % bzw. 15 % . Über die letztere Grenze springt auch Italien.