Krise in Georgien: Was man jetzt wissen sollte
Nach der Verabschiedung des umstrittenen Gesetzes zu “ausländischer Einflussnahme” in Georgien hat Staatschefin Salome Surabischwili ihr Veto eingelegt. Was man dazu wissen muß.
- Das Veto der Präsidentin kann vom Parlament überstimmt werden, so dass es wirkungslos wird. Es ist also nur ein Zwischenschritt. Der Machtkampf zwischen der Regierung und der Staatschefin geht weiter.
- Surabischwili ist umstritten. Sie ist keine gebürtige Georgierin, sondern kam in Paris zur Welt. Sie hat sogar als französische Diplomatin in Tiflis gearbeitet – also als ausländische Vertreterin oder “Agentin”.
- Die von der EU hofierte Präsidentin hat erst 2018 die georgische Staatsbürgerschaft angenommen. Damit sie für die Präsidentschaftswahlen kandididieren konnte, war sogar eine Gesetzesänderung nötig.
- Diese brachte die Partei “Georgischer Traum” ein – also genau jene Bewegung, mit der Surabischwili nun um das Lobby-Gesetz ringt. Auch der umstrittene Oligarch Iwanischwili stand früher hinter ihr.
- Die EU hat selbst ein Gesetz gegen “ausländische Einmischung” in der Pipeline. Es sorgte 2023 für Wirbel und wurde daraufhin zurückgestellt. Das EU-Parlament hatte einen eigenen Ausschuß gegen “Foreign interference”.
- Das erste einschlägige Gesetz wurde 1938 in den USA beschlossen, um die Nazis zu bekämpfen. Es stand auch Pate für ein Gesetz in Russland, weshalb in Georgien vom “russischen Gesetz” die Rede ist.
- Der Prozeß der Annäherung an die EU steckt noch ganz in den Anfängen. Georgien hat bisher nur zwei von neun eigens für das Land formulierten Meilensteinen erreicht – und das auch nur teilweise. Fortschritte muß man mit der Lupe suchen…
Fazit: Man sollte den Streit um das Foreign Agents-Gesetz und um die Annäherung an die EU versachlichen. Die Fronten sind längst nicht so klar, wie es scheint – und der EU-Beitritt ist noch meilenweit entfernt!
Falls Brüssel nun Sanktionen verhängt, könnte er sogar in noch weitere Ferne rücken…
Siehe auch Georgien widersetzt sich der EU – Kommen Sanktionen?
P.S. Bundeskanzler Scholz und Frankreichs Präsident Macron haben die Regierung in Tiflis scharf kritisiert. In einer gemeinsamen Erklärung hoben Scholz und Macron hervor, sie nähmen “mit tiefem Bedauern” die Entscheidung zur Kenntnis, vom europäischen “Pfad abzuweichen”. Derweil forderte Surabischwili ihren (ehemaligen) Landsmann Macron auf, nach Tiflis zu kommen, um den Kaukasus “endgültig dem russischen Einfluss” zu entreißen. Geht es hier etwa um geopolitische Einflusszonen?
Arthur Dent
21. Mai 2024 @ 10:33
Wie kommt man eigentlich dazu, sich permanent in die inneren Angelegenheiten fremder Länder einzumischen? Mit dem erhobenen Moralzeigefinger: Wer vom vorgegebenen “europäischen Pfad der Tugend und der Werte” abweicht, der ist bedauernswert. Vielleicht minderwertig gar? Mir scheint, der chauvinistische Nationalismus ist in der EU nur auf eine nächsthöhere Meta-Ebene geschoben worden.
european
19. Mai 2024 @ 16:21
Vielleicht reicht den Georgiern der Blick in die Ukraine um zu erkennen, was auch ihrem Land blühen wird, wenn sie der EU beitreten. Das Gesetz wurde mit 80 zu 30 Stimmen im Parlament verabschiedet, also mit mehr als einer Zweidrittelmehrheit.
Ansonsten ist es einfach nur verblüffend, wie sich unsere Politiker, egal ob gewählt oder nicht gewählt, aktuell selbst entlarven.