Geld gegen Recht, Grenzen gegen Terror – und Merkels Corona-Irrtum

Die Watchlist EUropa vom 6. November 2020.

Die EU will Rechtsstaats-Sündern und Demokratie-Verächtern ans Portemonnaie. Der deutsche Ratsvorsitz und das Europaparlament haben sich auf einen neuen Mechanismus geeinigt, der erstmals Kürzungen bei EU-Zahlungen möglich macht.

Allerdings ist offen, ob Länder wie Ungarn und Polen wirklich bluten müssen. Polens Vize-Justizminister Sebastian Kaleta bezeichnete den Deal als „beispiellosen Bruch“ der EU-Verträge. Polen und Ungarn haben bereits angekündigt, dass sie die Reform mit allen Mitteln verhindern wollen.

Die Regierungen in Budapest und Warschau drohen sogar mit einer Blockade des künftigen, rund eine Billion Euro schweren EU-Budgets. Wenn sie ernst machen, wäre das ein Schlag ins Kontor für den deutschen EU-Vorsitz.

Der deutsche EU-Botschafter M. Clauß, der die Verhandlungen geführt hatte, scheint damit aber nicht zu rechnen. Er begrüßte die Einigung als „wichtigen Meilenstein“ auf dem Weg zum neuen Gemeinschaftshaushalt.

Der grüne Europaabgeordnete D. Freund war nicht ganz so optimistisch. Er sagte, nun seien die EU-Staaten in der Pflicht, die neuen Finanzsanktionen auch umzusetzen.

Bisher bleiben Eingriffe in die Justiz, Attacken auf die Pressefreiheit oder andere Verstöße gegen Rechtsstaat und Demokratie in der EU meist ohne Folgen.

Das für solche Fälle vorgesehene Artikel-7-Verfahren hat sich als wirkungslos erwiesen, weil sich die betroffenen Länder gegenseitig decken und Entscheidungen blockieren.

Das soll nun anders werden. Brüssel will Rechtsstaats-Verstöße und Korruption mit Geldstrafen ahnden. Die Einigung sieht vor, das Zahlungen schon dann gekürzt werden können, wenn ein Missbrauch von EU-Mitteln droht.

Kaum vorzustellen, dass von der Leyen gegen Orban vorgeht

Allerdings muß die EU-Kommission zunächst einen Verstoß feststellen und Finanzsanktionen vorschlagen. Das könnte schwierig werden. Denn schon bisher hat die EU-Behörde gezögert, gegen Orban & Co. vorzugehen.

Kaum vorzustellen, dass Frau von der Leyen plötzlich vorschlägt, Orban die lieb gewonnenen Subventionen zu kürzen, weil der sich das Geld in die eigene Tasche steckt und die Opposition malträtiert.

Da hätte sie ja genauso gut gegen den bulgarischen Regierungschef Borrisow vorgehen können. Doch selbst wochenlange Proteste der Opposition haben die EU-Kommission nicht interessiert…

Siehe auch “Reden über Belarus – Schweigen zu Bulgarien” und “Die blinden Flecken der Kommission”

Watchlist

Wie geht es weiter nach der US-Wahl? Das fragt man sich auch in Brüssel, wo die EU-Spitze komplett abgetaucht ist und niemand einen Weg nach vorn weist. Die “geopolitische Kommission” traut sich nicht einmal, den Machtmißbrauch von US-Präsident Trump zu kritisieren, so wie die Wahlbeobachter der OSZE. Offenbar hat man Angst, dies könne die “transatlantischen Beziehungen” gefährden – dabei liegen die ohnehin am Boden…

Was fehlt

Frankreichs neue Pläne gegen den islamistischen Terror. Präsident Macron will die türkischen “Grauen Wölfe” verbieten, den Einfluß des türkischen Staates auf die französischen Moscheen eindämmen, die Polizei und den Grenzschutz massiv aufstocken – und Schengen “neu gründen”. In der Praxis bedeutet dies wohl vor allem eine Aufrüstung der europäischen Außengrenzen – Griechenland baut schon einen Zaun zur Türkei…

Das Letzte

Kanzlerin Merkel ist doch nicht unfehlbar! Ende September hatte sie gewarnt, dass es zu Weihnachten 19.200 Neuinfektionen am Tag geben könnte. Dieser Wert wurde bereits Ende Oktober fast überschritten, zuletzt waren es sogar 19.990 neue Fälle. Dennoch tun die deutschen Medien so, als habe Merkel Recht gehabt – und als sei der Höhepunkt schon fast überschritten. Wer wie ich in Brüssel arbeitet, kann vor so viel Optimismus nur warnen…

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