Fehlstart für Merkel IV.
“Europa kann sich freuen, von ihrer langjährigen Erfahrung, nachhaltigem Engagement und ihrer ungebrochenen Neugier weiterhin profitieren zu können.”
Mit diesen Worten gratulierte Kommissionschef Juncker der Kanzlerin zu ihrer neuen Amtszeit. Auch Frankreichs Macron sendete Glückwünsche. Zusammen werde man daran arbeiten, Europa schneller voranzutreiben.
Wirklich? In ihrem ersten Interview trat Merkel gleich wieder auf die Bremse. Sie sprach sich gegen eine Vergemeinschaftung der Schulden in der Eurozone aus (die niemand fordert) und für den Abbau fauler Kredite.
Dasselbe hätte sie wohl auch gesagt, wenn sie mit FDP-Chef Lindner eine Jamaika-Koalition eingegangen wäre. Von neuen, frischen Ideen keine Spur. Merkel macht “weiter so”, als wenn nichts gewesen wäre.
Macron sei gewarnt: Das dürfte sich auch bei ihrem Antrittsbesuch in Paris nicht ändern. Merkel will dort “bestimmte Pfade abstecken” – Wettbewerbsfähigkeit dürfte wie üblich ganz oben auf der Liste stehen.
Von gemeinsamen Initiativen ist nicht mehr die Rede, von einem “Aufbruch für Europa” schon gar nicht. Wie auch. Merkel war noch nie eine überzeugte Europäerin. Auch in ihrer wohl letzten Amtszeit wird sie die EU nicht neu starten.
Umso schwerer fällt der Fehlstart daheim in Berlin ins Gewicht. Ihre Mehrheit im Bundestag ist knapp wie nie. Und dann gab es auch noch viele Abweichler. Nur neun Stimmen über der Kanzlermehrheit – das kann eng werden.
Statt auf die SPD – ihren alten und neuen, schwer angeschlagenen Koalitionspartner – ging Merkel auf die AfD ein. Der Anspruch sei, “dass wir sie kleiner machen und möglichst aus dem Bundestag wieder herausbekommen.”
Schau’n wir mal. Bisher ist Merkel die Kanzlerin, die mit ihrem Schlingerkurs die AfD in den Bundestag befördert hat – und die EU in die schwerste Krise ihrer Geschichte führte. Immerhin: Jetzt kann Merkel wieder “führen”…
WATCHLIST:
- Die deutschen Ministerpräsidenten beraten am Donnerstag in Brüssel über die EU-Vorgaben für bessere Luft und über die Flüchtlingspolitik. Auf dem Programm steht u.a. ein Treffen mit Kommissionschef Juncker und dem deutschen Kommissar Oettinger.
WAS FEHLT?
- Unterstützung für De Guindos. Der spanische Kandidat für den EZB-Vize erhielt im Europaparlament nur 331 Stimmen, 306 waren gegen ihn, 65 enthielten sich. Viele Europaabgeordnete werfen dem konservativen Finanzminister vor, dass er nichts von Geldpolitik verstehe und – wegen seiner Nähe zu Madrid – die Unabhängigkeit der Zentralbank gefährde.
- Entspannung im Streit um den Gasangriff in UK. Statt die Fakten zu prüfen, gießen alle Seiten Öl ins Feuer. Die EU-Außenbeauftragte Mogherini ist derweil abgetaucht – stattdessen mit einer Stimme redet EUropa mit ganz vielen, wie immer, wenn es ernst wird. Siehe auch “Wie im Kalten Krieg”
Peter Nemschak
15. März 2018 @ 12:16
Konstruieren? Gar nicht so einfach. Selbst der Schock der Finanzkrise hat kein supranationales Europa auf Dauer geschaffen. Das Nationalstaatliche ist zäh und wird uns noch lange begleiten.
Peter Nemschak
15. März 2018 @ 08:47
Merkel Europafeindlichkeit vorzuwerfen ist falsch und geht am Kern der Sache vorbei. Merkel hat einen anderen, rechtsliberalen, ideologischen Zugang zu Europa als die Roten, welche die EU als bedingungslose Solidargemeinschaft sehen und mit Frankreich den Hang zum Etatismus teilen. Merkels, aber auch Lindners Ansatz sind per se nicht europafeindlich, sogar eher mehrheitsfähig als der etatistische Zugang der Roten. Die Heterogenität der europäischen Gesellschaften verlangt einen stark subsidiären Ansatz, gerade auch in der Budgetpolitik der Mitgliedsländer, die Ausdruck der jeweiligen gesellschaftlichen Präferenzen ist. Daher werden sich etliche Mitgliedsländer in Sachen Euro gegen eine Abgabe ihrer Souveränität im Bereich Budgetpolitik an eine europäische Mehrheitsentscheidung, insbesondere wenn es um eine Vergemeinschaftung von Risiken geht, wehren. Deutschland hat als wirtschaftlich stärkstes und erfolgreiches Land die beste Ausgangsposition, seinen Standpunkt durchzusetzen und ist dabei nicht allein sondern erhält Unterstützung von Ländern mit einer tendenziell ordoliberalen Wirtschaftsverfassung. Der politische Wettbewerb innerhalb der Groko wird sich auf nationale Themen, insbesondere Sozial- und Migrationspolitik, konzentrieren. Daher ist von der SPD in Sachen EU-Politik wenig Widerstand gegen die bisherige Politik von Merkel zu erwarten.
ebo
15. März 2018 @ 09:34
Niemand hat die Absicht, Merkel Europafeindlichkeit vorzuwerfen. Ich halte es vielmehr mit Kohl: “Sie macht mir mein Europa kaputt”. Zwölf Jahre später sind die Fakten da.
Peter Nemschak
15. März 2018 @ 10:14
Was ist “mein Europa”? Es gab schon zu Zeiten Kohls unterschiedliche Vorstellungen darüber. Durch das Ende des Kalten Kriegs, die darauf folgende Osterweiterung und andere historische Erfahrungen wurden die Vorstellungen für ein gemeinsames Europa noch komplexer als sie vorher bereits waren. Offenbar bedarf es gemeinsam empfundener existentieller Bedrohungen um supranationale Reflexe auszulösen.
Dixie Breitscheid
15. März 2018 @ 11:27
“Offenbar bedarf es gemeinsam empfundener existentieller Bedrohungen um supranationale Reflexe auszulösen.” …
…und wenn es keine solchen gibt, dann müssen wir sie halt konstruieren…
“We need a new Pearl Harbour!”
Darauf ein Gläschen Nowitschok, prosit.