Wirtschaftskrieg ums Öl, Bankraub für die Ukraine – und Warnung an Twitter
Was bleibt von der Europapolitik der vergangenen Woche? Mit dem Preisdeckel für russisches Öl geht der Wirtschaftskrieg in eine neue Phase. Die EU-Kommission will russische Vermögen an sich reißen, um die Ukraine zu entschädigen – und der Streit um Twitter eskaliert.
Kurz vor der Deadline am 5. Dezember haben sich die EU-Staaten auf einen Preisdeckel für russisches Öl geeinigt. Er soll bei 60 Dollar pro Barrel liegen und auf Umwegen – etwa durch die Versicherungen für Öltanker – umgesetzt werden. Ob das funktioniert, ist unklar. Auch der Preis ist weiter umstritten. Polen hatte einen nierigeren Level gefordert.
Der Preisdeckel tritt gleichzeitig mit dem europäischen Ölembargo in Kraft. Beides zusammen soll gewährleisten, dass Russland weniger Geld durch Ölexporte verdient. Angeblich wird so auch „Putins Kriegskasse“ geschmälert. Das ist jedoch nicht erwiesen, denn für die Kriegswirtschaft ist Russland kaum auf Devisen angewiesen, Panzer werden in Rubel bezahlt.
Das Ölembargo ist mindestens ebenso umstritten wie der Preisdeckel. Ökonomen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Sondersteuer auf russisches Öl die bessere Lösung gewesen wäre. Zudem müssen Deutschland und andere EU-Länder nun mit Problemen bei der Ölversorgung rechnen; neben Heizöl könnten auch Benzin und Diesel teurer werden.
___STEADY_PAYWALL___
Wie bei anderen EU-Sanktionen spielen jedoch auch diesmal mögliche Nebenwirkungen und Schäden keine Rolle in der EU-Debatte. In Brüssel werden die neuen Maßnahmen als großer Erfolg gefeiert. Man habe alle Hebel in der Hand, um den Ölpreis am Weltmarkt zu bestimmen, heißt es selbstbewußt in der EU-Kommission. Die werde man nun auch nutzen.
Doch das ist längst nicht alles. Auch ein 9. Sanktionspaket ist in Vorbereitung. Zudem hat Kommissionschefin von der Leyen in der vergangenen Woche angekündigt, russisches Vermögen nutzen zu wollen, um Reparationen an die Ukraine zu zahlen. Wie das gehen soll, bleibt unklar – bisher gibt es nicht einmal gesicherte Zahlen über die beschlagnahmten Beträge.
Brüssel will auch die Strafen für Sanktionsverstöße drastisch erhöhen. Denn bisher ist noch nicht viel Vermögen von russischen Oligarchen dingfest gemacht worden. Wer sein Geld aus der EU abzieht, muß künftig mit mindestens fünf Jahren Haft rechnen. Die EU höhlt so das Recht auf Eigentum aus; den Zugriff auf Zentralbankvermögen könnte man auch als Bankraub bezeichnen…
Brüssel macht nun auch Medienpolitik
Was war noch? Die EU-Kommission mischt sich mehr und mehr in die Medienpolitik ein. Am Dienstag diskutierte die Kommisarin Jourova mit den Kulturministern das sog. Medienfreiheitsgesetz, das Brüssel zur Oberaufsicht über alle Medien in der EU (incl. private Presseverlage) machen würde. Am Donnerstag warnte die Kommission den neuen Twitter-Eigner Musk vor zu viel freier Rede.
In einem Interview drohte EU-Kommissar Breton sogar damit, Twitter in Europa abzuschalten, wenn die EU-Regeln gegen Haßrede und Desinformation nicht umgesetzt werden. Willkommen in der schönen neuen Welt der EU, wo Eigentum und Meinungsfreiheit nicht mehr viel zählen, wenn sie nicht den Vorgaben aus Brüssel folgen…
Mehr Chroniken hier. Abonnement per Mail (kostenlos) hier. Und hier noch die drei besten Blogposts der vergangenen Woche:
Das nukleare „Armageddon“ war nahe
Ein beliebtes Argument der Hardliner im Ukraine-Krieg lautet, die russischen Drohungen mit Atomwaffen könne und dürfe man nicht ernst nehmen. Doch die USA tun dies durchaus – einmal schien das nukleare „Armageddon“ sogar verdammt nahe.
MehrDie fatale Logik der Kriegstreiber
Kein Waffenstillstand in der Ukraine, keine Verhandlungen mit Russland: Das ist das Mantra der westlichen Hardliner und Kriegstreiber. Sie folgen einer fatalen Logik.
MehrUkraine-Krieg: Kommen doch noch Verhandlungen?
Der Papst hat die Ukraine aufgefordert, Verhandlungen mit Russland zu suchen, um das Morden zu beenden. Dafür wird er nun attackiert – dabei steht er nicht allein.
Mehr
Thomas Damrau
4. Dezember 2022 @ 11:28
Wenn es so einfach wäre, „den Ölpreis am Weltmarkt zu bestimmen“, fragt sich der erstaunte Bürger (=ich), warum der Westen das nicht schon seit 50 Jahren praktiziert.
Im Ernst, mehrere mögliche Effekte (oder eine Kombination aus ihnen) sind möglich:
1) Die Maßnahmen schießen über das Ziel hinaus, die Ölmärkte geraten durcheinander, das Ölangebot verknappt sich und die Preise steigen entsprechend. Dann kann die EU die Preise runter-subventionieren (mit welchem Geld?) oder den massiven Unmut in der Bevölkerung riskieren. (Hohe Spritpreise neben hohen Gas- und Strom-Kosten mag ein Hoch zuviel sein .)
2) Die Maßnahmen wirken und die Öl-Routen verlaufen wie bisher, nur dass Russland geringere Einnahmen hat.
3) Der Markt funktioniert (was sich die marktliberale Kommission ja immer wünscht), die Öl-Routen sortieren sich neu, Russland verkauft (für über $ 60) über alternative Vertriebswege an andere Staaten und die OPEC nutzt ihr Monopol, um den Öl-Preis für die EU deutlich nach oben zu treiben – schon allein, um dem neuen „Käufer-Kartell“ die Macht des „Anbieter-Kartells“ vor Augen zu führen. Ähnliches Problem wie bei Effekt 1).
4) Das Transport-Geschäft mit Öl ist so undurchsichtig, dass die EU-Maßnahmen mit mittlerem Aufwand umgangen werden können.
Keiner dieser Effekte wird den Ukraine-Krieg stoppen – die Kollateral-Schäden sind schwer vorhersehbar. Also ein klarer Fall von „Muskeln spielen lassen, die man nicht hat“.
Nur die USA als (Fast-)Selbstversorger können entspannt zuschauen.