Erdogan spaltet EUropa – Wer rettet die “Lifeline”?
Man hätte sich eine klare, eindeutige Antwort auf die Machtergreifung in der Türkei gewünscht. Stattdessen ist es Sultan Erdogan wieder einmal gelungen, EUropa zu spalten. Dies zeigt die Reaktion auf seine offenbar manipulierte Wiederwahl.
Die Nato gratulierte prompt, die EU wünscht sich einen “engagierten Partner“, Kanzlerin Merkel setzt auf “konstruktive Arbeitsbeziehungen”. Einziges Zeichen des Protests: Sie zögerte ihren Glückwunsch ein wenig heraus.
Na und? Putin haben sie ja auch gratuliert, könnte man einwenden. Das stimmt aber nicht. Nur Juncker schickte einen Glückwunsch nach Moskau – aber so verschämt, dass es kaum einer merkte. Ratspräsident Tusk schwieg.
Vielleicht hätte Putin mehr Erfolg, wenn er große Exilgemeinden in großen EU-Ländern hätte – so wie Erdogan. Die Türken in Deutschland, Frankreich oder Belgien stehen in Treue fest zu ihrem Sultan – auch das spaltet Europa.
Doch die innere und äußere Spaltung ist in Brüssel kein Thema. Auch das Scheitern des Appeasements wird nicht diskutiert. Die Türkei gilt weiter als strategischer Partner, selbst nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch in Syrien.
Dabei zeichnen sich die nächsten Konflikte bereits ab. Erdogan, der sich im türkischen Parlament zunehmend auf die Ultra-Nationalsten von der MHP stützt, dürfte Druck beim Flüchtlingsdeal machen.
Das wird hart, denn Italien will nicht für die Türkei zahlen, Griechenland steht mit Erdogan auf Kriegsfuß. Zuletzt hatte Erdogan das Rücknahmeabkommen zwischen Athen und Ankara aufgekündigt.
Auch ein Streit um die Beitrittsverhandlungen ist nicht ausgeschlossen. Wenn Erdogan den Ausnahmezustand lockern sollte, dürfte er sofort mit neuen Forderungen auf der Matte stehen. Auch in dieser Frage ist die EU gespalten.
Das Europaparlament möchte die Verhandlungen endgültig abbrechen, Deutschland will sich eine Hintertür offen lassen, um den Flüchtlingsdeal nicht zu gefährden (Merkel lässt grüßen).
Die Europäer sind erpressbar geworden – deshalb gratulieren sie sogar einem Diktator in spe. Ob sie auch den Mut finden, die Opposition in der Türkei zu stärken – nicht nur in Worten, sondern auch mit Taten?
Siehe auch “Erdogan wird zum Sicherheitsrisiko” und “Putin strafen, Erdogan schmieren”
WATCHLIST:
- Normalerweise lockt der Allgemeine Rat niemanden hinterm Ofen vor. Doch diesmal wird das Treffen in Luxemburg spannend – denn es geht um die Vorbereitung des EU-Gipfels, der erneut zum Merkel-Rettungs-Gipfel mutieren könnte.
- Derweil weisen die EU-Chefs einer nach dem anderen das Rettungsschiff “Lifeline” ab. Für die 234 Flüchtlinge an Bord fühlt sich niemand verantwortlich – auch Kanzlerin Merkel nicht. Dabei geht es um eine deutsche Hilfsorganisation…
WAS FEHLT:
- Ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn. Das fordert der Innenausschuss des Europaparlaments. Es bestehe die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der EU-Werte. Gegen Polen läuft so ein Verfahren schon, ohne Erfolg.
- Ein rechtsstaatliches Verfahren für Flüchtlinge in Afrika. Deshalb könne man Migranten nicht einfach aus der EU in Sammellager abschieben, meint die EU-Kommission. Zu dumm auch, dass Libyen solche Lager am Montag ablehnte…
Solveig Weise
26. Juni 2018 @ 11:18
Einige Gedanken zur Causa der NGO “Mission Lifeline”. Die Position der italienischen Regierung (oder nennen wir das Kind beim Namen: Die Position Matteo Salvinis und damit deckungsgleich der italienischen Regierung) offenbart einmal mehr die moralische Heuchelei der Europäischen Union. Die Tatsache, dass Deutschland hier keine Aufnahme zusagt ist absolut nachvollziehbar, würde dies doch den “Magneten” Deutschland und damit dem “Pull-Faktor”nur noch weiter mit Energie aufladen und mehr Menschen aufs Meer treiben. Es zeigt sich, dass die Länder Spanien (Aquarius war ganz klar ein “One Hit Wonder”) und vor allem auch das sehr gerne im Duktus moralischer Überlegenheit argumentierende Frankreich ihren großen Worten keinerlei Taten folgen lassen. Es bleibt zu hoffen, dass sich Europa zu einer Lösung durchringen kann, die die Mittelmeerroute robust verschließt und den Menschen vor Ort hilft. Allein es fehlt der Glaube.
ebo
26. Juni 2018 @ 12:33
Frankreich arbeitet an einer Lösung, es hat auch bei der Aquarius vermittelt und sogar Migranten aufgenommen.
Solveig Weise
26. Juni 2018 @ 15:27
@ebo: Befragen Sie zu dem Thema doch auch einmal die 80.000 Personen, die im Jahr 2017 an der Grenze zwischen Frankreich und Italien zurückgeschoben wurden. Frankreich versteht es sehr geschickt Symbolpolitik zu betreiben, dies muss man neidlos anerkennen.
ebo
26. Juni 2018 @ 16:36
Mais non. Frankreich hat genau das bilaterale Abkommen, das Merkel jetzt auch gerne hätte. Von Macron lernen heißt siegen lernen 🙂
Solveig Weise
26. Juni 2018 @ 16:48
@ebo: Hier haben Sie absolut Recht. Frankreich betreibt Abschottung auf legaler Basis. Hut ab Herr Macron.
Peter Nemschak
26. Juni 2018 @ 14:12
Vor Ort helfen heißt, das Flüchtlingshilfswerk der UNO unterstützen. Der Großteil der Flüchtlinge sind “locally displaced persons” und werden heute lokal in Flüchtlingslagern betreut. Jedenfalls müssen alle Anreize beseitigt werden, als illegaler Migrant den riskanten Weg nach Europa zu wählen. Dazu bedarf es diverser Gesetzes- und Konventionsänderungen in Europa, damit die verlangte robuste Außengrenzsicherung auch wirken kann. Wer ohne gültiges Visum – zu beantragen im Herkunftsland -, an der Außengrenze ankommt, darf keine Chancen haben diese überqueren zu dürfen. Was der Rechtsstaat Australien, Australien ist ein Rechtsstaat, geschafft hat, wird wohl auch die EU zuwege bringen.