Endspiel beim Brexit, Vorspiel für Türkei-Sanktionen – und Macron in der Defensive

Die Watchlist EUropa vom 7. Dezember 2020 –

Im monatelangen Streit mit Großbritannien um ein Handelsabkommen nach dem Brexit hat das Endspiel begonnen. Nach fieberhaften Verhandlungen am Sonntag in Brüssel könnte am Montag die Entscheidung fallen. Deal oder No Deal: Das ist die Frage – doch bisher wagt niemand eine Antwort.

Vor allem die Europäer zögern. Sie sind hin- und hergerissen zwischen der eher konzilianten deutschen Haltung und dem harten Auftreten Frankreichs.

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Kanzlerin Angela Merkel will fast alles tun, um den für Deutschland lukrativen Handel mit Großbritannien zu retten.

Frankreichs Europaminister Clément Beaune hingegen hat mit einem Veto gedroht und die EU zu Geschlossenheit gemahnt.

„Die Verhandlungen sind ein Marathonlauf“, sagt ein mit den Gesprächen vertrauter EU-Experte. „Wir sind schon bei Kilometer 40 angekommen, doch niemand weiß, ob und wann wir die Ziellinie überschreiten werden“, warnt der Mann, der EU-Verhandlungsführer Michel Barnier zuarbeitet.

97 oder 98 Prozent des Abkommens seien fertig, sagte Irlands Außenminister Simon Coveney. Über den Rest wird weiter gerungen.

Dabei geht es um den für Irland und Frankreich wichtigen Fischfang, die Regeln für einen fairen Handel („Level Playing Field“) und ein Schiedssystem für Streitigkeiten.

Am Samstag hatten EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und der britische Premier Johnson telefoniert und versucht, die Knackpunkte aus dem Weg zu räumen – vergeblich. Barnier wurde daraufhin beauftragt, weiter zu verhandeln.

Viel Zeit bleibt nicht mehr. Bereits am Montagmorgen um 7.30 Uhr will der Franzose die 27 EU-Botschafter über den letzten Stand der Dinge unterrichten.

Am Montagabend ist dann ein weiteres Telefonat zwischen von der Leyen und Johnson geplant. Es könnte die letzte Chance für eine Einigung sein.

Denn am Donnerstag tagt der EU-Gipfel. Bis dahin muß eine Einigung stehen, damit das Handelsabkommen noch wie geplant am 1. Januar 2021 in Kraft treten kann. Schließlich muß der Deal noch vom Europaparlament abgesegnet werden – und das warnt schon jetzt, dass die Zeit knapp werde.

Der Montag ist aber noch aus einem anderen Grund wichtig. An diesem Tag will Johnson im Unterhaus erneut das umstrittene Binnenmarktgesetz einbringen.

Aus Sicht der EU verstößt dieses Gesetz gegen den vor einem Jahr geschlossenen Austrittsvertrag, also gegen internationales Recht. Wenn Johnson es dennoch vorantreiben sollte, könnte dies das Ende der Verhandlungen bedeuten – und damit den „No Deal“.

Allerdings müßten von der Leyen und Barnier dann auch den Mut haben, die Türe zuzuknallen. Genau das will Merkel aber um (fast) jeden Preis verhindern…

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Watchlist

Machen die Außenminister endlich den Weg für Türkei-Sanktionen frei? Oder laviert der deutsche Chefdiplomat Maas weiter herum? Dies dürfte ein Ratstreffen am Montag in Brüssel erweisen, das ausnahmsweise mal wieder “live” stattfindet, trotz der deutschen Reisewarnungen. Auf der Tagesordnung steht auch der europäische “Magnitsky Act”, also individuelle Menschenrechts-Sanktionen. Dafür macht sich Maas schon lange stark, denn da geht es vor allem gegen Russland (und nicht um die Türkei)…

Was fehlt

Die Selbstverteidigung von Staatschef Macron. Frankreich sei nicht mit der Türkei oder Ungarn zu vergleichen, sagte Macron in einem Interview. Der Rechtsstaat sei nicht gefährdet. Doch genau daran zweifeln viele Franzosen, die am Wochenende erneut gegen das neue “Sicherheitsgesetz” auf die Straße gegangen sind. Es sieht u.a. vor, Videoaufnahmen von Polizisten im Einsatz zu verbieten, was eine Einschränkung der Pressefreiheit bedeutet. Macron will liberal sein und regiert doch zunehmend autoritär…

Das Letzte

Ein Unbekannter in Brüssel hat dem ungarischen Europaabgeordneten Jozsef Szajer ein ironisches Denkmal gesetzt. Er oder sie brachte eine Plakette an der Regenrinne an, an der Szajer auf der Flucht vor Polizisten nackt heruntergerutscht war. Die Ordnungshüter hatten eine Orgie aufgelöst, an der der Vertraute von Ungarns Regierunschef Orban aktiv beteiligt war. Das Problem war allerdings nicht die Orgie, sondern der Verstoß gegen die belgischen Hygienevorschriften… – Mehr hier (Le Soir).