Ein abgekartetes Spiel, eine riskante Mission – und ein “Nawalny Act”
Die Watchlist EUropa vom 20. Februar 2024 – Heute mit Tricksereien rund um die Europawahl, der Militarisierung des Handels im Roten Meer und einem neuen Sanktionsregime
Die Europawahl ist schon so gut wie gelaufen. Noch bevor ein einziger Wähler seine Stimme abgegeben hat, kann sich Kommissionschefin von der Leyen einer zweiten Amtszeit sicher sein. Sie muß sich nicht mal zur Wahl stellen.
Die CDU macht’s möglich. Sie hat von der Leyen aufs Schild gehoben, ohne dass sich diese um einen Sitz im Europaparlament bewerben müsste. Ein Ticket als “Spitzenkandidatin” reicht, um bei der Wahl im Juni dabei zu sein.
Denn der oder die Kandidatin der Europäischen Volkspartei kann mit den meisten Stimmen rechnen – egal, was passiert. Dafür sorgt nicht nur die CDU, sondern auch “Forza Italia” oder “Nea Dimokratia” in Griechenland.
Da sich auch noch Kanzler Scholz, Präsident Macron und die meisten anderen Staats- und Regierungschefs für eine zweite Amtszeit ausgesprochen haben, kann sich von der Leyen ihrer Sache ziemlich sicher sein: sie darf weiter machen.
Es ist ein abgekartetes Spiel, bei dem sich das EU-Establishment eine Akklamation für eine handverlesene Kandidatin holt. Das Spitzenkandidaten-Verfahren, das schon 2019 ausgehebelt wurde, ist nur noch eine leere Hülle.
Alle spielen mit
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Leider spielen die anderen Parteien mit. Die Grünen haben sich zwar beschwert. Es irritiere, dass von der Leyen nirgends auf dem Wahlzettel zu finden sein werde, sagte R. Andresen von den deutschen Grünen.
Doch am Ende werden sie VDL II ebenso zustimmen wie die Liberalen oder Sozialdemokraten. Die haben mit Sozialkommissar N. Schmit einen fast unbekannten Politiker zum Spitzenkandidaten erklärt.
Selbst in seiner Heimat Luxemburg ist Schmit keine große Nummer. Ein ernster Herausforderer ist er nicht, zumal seine Chefin von ihrem Amtsbonus profitiert und nach den Regeln der Kommission einfach weiter machen darf…
Siehe auch VDL: „Leidenschaft für Europa ist gewachsen“ sowie mein Beitrag für die taz “One-Woman-Show 2.0“
P.S. Würde VDL gewählt werden, wenn sie bei der Europawahl antreten würde? Eher nicht. Das Forsa-Institut ermittelte 2023, dass nur 40 Prozent der Wähler eine weitere Amtszeit gut fänden. Selbst eher beliebte EU-Kommissare wie Timmermans und Vestager sind bei Wahlen durchgefallen...
News & Updates
- Grünes Licht für riskante Marinemission: Wie erwartet, haben die EU-Außenminister die Marinemission im Roten Meer abgenickt. Die EU will mindestens vier Kriegsschiffe und Begleitflugzeuge wie Hubschrauber und Drohnen entsenden, um Handelsschiffen sicheres Geleit zu geben und Seeaufklärung zu betreiben. Eine so große Armada wurde noch nie zur Sicherung des Handels aus Europa entsendet. Deutschland ist mit der Fregatte “Hessen” dabei – und bis zu 700 Soldaten. – Für den Frieden im Nahen Osten tut die EU nicht so viel, wie die nächste Meldung zeigt…
- Orban verhindert Beschluss zu Gaza: Lange stand Deutschland auf der Bremse. Doch nun haben 26 von 27 EU-Ländern von Israel eine “humanitäre” Feuerpause in Gaza gefordert – nur Ungarn war dagegen. Weil der notorische Quertreiber Orban Nein sagte, gab es keinen offiziellen Beschluss, sondern nur eine gemeinsame Erklärung, die EU-Chefdiplomat Borrell vorlesen durfte. – Israels Premier Netanjahu ignoriert die EU ohnehin – er will auch in Rafah einmarschieren…
- Ehemaliger Frontex-Chef tritt für Le Pen an: Der frühere Chef der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, Fabrice Leggeri, tritt bei der Europawahl im Juni für die Partei der französischen Rechtsnationalistin Marine Le Pen an. Leggeri hat sich mit illegalen “Pushbacks” von Migranten einen “Namen” gemacht. Le Pen fordert mehr Härte in der Flüchtlingspolitik.
Das Letzte
Nawalny wird Namensgeber für EU-Sanktionen. Das EU-Sanktionsinstrument zur Bestrafung von schweren Menschenrechtsverstößen soll nach dem gestorbenen russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny benannt werden. Für Nawalnys Tod sei Kremlchef Putin “letztlich” verantwortlich, erklärten die EU-Außenminister. Die Umbenennung werde ein Weg sein, das Andenken an den Kremlkritiker aufrechtzuerhalten. Das Sanktionsregime soll künftig “weltweite Nawalny-Sanktionsregelung im Bereich der Menschenrechte” heißen. Bisher trug es den Namen des russischen Wirtschaftsprüfers Magnitsky – genau wie der “Magnitsky Act” in den USA, dem das EU-Regime nachempfunden wurde…
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Monika
20. Februar 2024 @ 12:19
Das Allerletzte: Es unseren Politikern nicht einmal ansatzweise in den Sinn kommt, dass solch eine “Geste zum dauerhaften Gedenken” an den “heldenhaften Kremlkritiker” – in Wahrheit einem menschenverachtenden Rassisten, wie aus seinen Kakerlaken-Videobeiträgen die er sogar öffentlich in Interviews bestätigt und bekräftigt hat, hervorgeht – ihnen bleischwer auf die Füße fällt, sobald Julian Assange seinen Haftbedingungen “erliegt”.
Und alles nur, um Putin in schäumender Medienlandschaft einen weiteren Tritt vors Schienbein geben zu können.
KK
20. Februar 2024 @ 10:22
Die Totengräberin der EUropäischen Idee darf weitere fünf Jahre Nägel in eben diesen Sarg schlagen!
Ich kann gar nicht soviel essen wie ich kotzen möchte!
Arthur Dent
20. Februar 2024 @ 09:26
In einer Demokratie geht alle Macht vom Volke aus – hahaha. Eben, in einer Demokratie. Ich kann hier weit und breit keine erkennen. Die “Wahl” ist hier ein rein plebiszitärer Akt, eine Art Volksbelustigung ohne irgendeinen Einfluss. (Offenbar muss der schöne Schein der Demokratie mit aller Macht vor dem Volk wie vor einer bissigen Bestie geschützt werden). Und sicher wird ihre erlauchte Scheinheiligkeit noch Dankesworte für das entgegengebrachte Vertrauen nach der “Wahl “finden. Wenn das schon die beste aller möglichen Welten ist, dann will ich gar nicht wissen wie die zweitbeste aussieht.
Kann mal jemand ein Fenster aufmachen, ich brauch frische Luft?
Thomas Damrau
20. Februar 2024 @ 10:20
@Arthur Dent
“muss … der schöne Schein der Demokratie mit aller Macht vor dem Volk … geschützt werden.” kann man auch umdrehen: “muss die Macht mit dem schönen Schein der Demokratie vor dem Volk geschützt werden.”
KK
20. Februar 2024 @ 10:32
„Die „Wahl“ ist hier ein rein plebiszitärer Akt…“
Plebiszit bedeutet laut Duden „Volksbeschluss, Volksabstimmung; Volksbefragung“ – das trifft hieraber wohl kaum zu: Zwar wird das Volk unverbindlich „befragt“, aber ohne dass es dabei über etwas wirklich „abzustimmen“ oder gar zu „beschliessen“ hätte.
Es ist nur ein teures Schauspiel, in dem so was ähnliches wie „Demokratie“ vorgegaukelt werden soll.
Erinnert mich sehr an die Volkskammerwahlen in der DDR, nur dass der Wähler hier als Wahlzettel einen ellenlangen Leporello mit Dutzenden Ankreuzoptionen bekommt. Wobei das Ergebnis aber hier wie da schon vorher fest steht.
Kleopatra
20. Februar 2024 @ 08:02
Ob ein Kandidat für den Kommissionsvorsitz in einem der Mitgliedstaaten “auf dem Wahlzettel steht” oder nicht, ist irrelevant. Relevant ist ausschließlich, ob er/sie von den Regierungen nominiert und vom Parlament bestätigt wird. Die Frage ist also, wen die anderen Kandidaten für das Parlament am liebsten unterstützen wollen. (Juncker stand im Zweifel nur auf den Wahlzetteln der paar hunderttausend Luxemburger).
Solange die Kommission in der Theorie ein Gemeininteresse der EU vertritt, kann jede Fundamentalkritik an ihrer Linie wie ein Angriff auf die EU selbst dargestellt werden. Wer eine politisierte EU-Führung will, der muss es normal finden, wenn Vorschläge der Kommission (Green Deal, Lieferkettengesetz etc.) im Gesetzgebungsverfahren schmählich begraben werden, weil das der normale Vorgang in einer repräsentativen Demokratie ist.
KK
20. Februar 2024 @ 18:34
„Ob ein Kandidat für den Kommissionsvorsitz in einem der Mitgliedstaaten „auf dem Wahlzettel steht“ oder nicht, ist irrelevant.“
Formal mag es irrelevant sein – nachdem es aber vor der Wahl 2019 ja mit dem Spitzenkadidtaensystem aus dem EU-Parlament heraus für die Zukunft ganz anders vorgesehen war, schadet es der legitimation und der Erzählung, es handele sich hierbei um eine demokratische Entscheidung nach dem Wählerwillen. Die können nämlich wählen, was sie wollen – die Regierungen haben ja längst ausgekungelt, wer die zukünftige Kommissionspräsidentin werden soll. Und das Parlament wird notfalls wieder mit ein paar gut dotierten Zusatzposten geködert.
Wie ging noch mal der Merkel-Spruch? „Sie kennen das!“