Sanfte Fesseln für Google & Co., Showdown bei der Taxonomie – und Johnson muß zittern

Die Watchlist EUropa vom 6. Juli 2022 –

Am Ende war es nur noch Formsache. Mit großer Mehrheit hat das Europaparlament die beiden neuen Internet-Gesetze DSA und DMA verabschiedet. Damit geht eins der wichtigsten – und kontroversesten – EU-Gesetzgebungsverfahren der letzten Jahre zu Ende.

Der Digital Services Act (DSA) soll Internet-Giganten wie Amazon, Facebook oder Google dazu anhalten, Hassrede und illegale Inhalte einzudämmen. Der Digital Markets Act (DMA) soll für fairen Wettbewerb sorgen und den Verbrauchern mehr Wahlfreiheit bei Online-Angeboten sichern.

Was heute selbstverständlich klingt, sorgte jahrelang für Streit. Die Internet-Konzerne schickten eine ganze Armada von Lobbyisten nach Brüssel, um ihr werbebasiertes und durch Tracking (Nachverfolgung) bewehrtes Geschäftsmodell zu retten – was ihnen am Ende auch gelang.

Die EU-Staaten setzten alle Hebel in Bewegung, um nationale Regeln wie das umstrittene deutsche NetzDG auf EU-Ebene zu verankern. Und die EU-Kommission versuchte, sich direkten Zugriff auf die Inhalte im Internet zu verschaffen und neue Zensurmechanismen durchzuboxen.

„Lobbyisten im Vorteil“

Der Streit hörte nicht einmal auf, als sich die EU-Gremien im sogenannten Trilog geeinigt hatten. In letzter Minute wurde der DSA-Text noch einmal „aufgemacht“, Details wurden geheim gehalten. Selbst Christel Schaldemose, die Berichterstatterin des Parlaments, klagte über mangelnde Transparenz.

„Lobbyisten haben während des Trilogs die aktuellen Texte oft zugespielt bekommen, die Öffentlichkeit nicht“, kritisiert Patrick Breyer, der für die Piraten im Parlament sitzt. Das sei „hochproblematisch“, sagt Breyer.

Der Internet-Experte ärgert sich auch darüber, dass das umstrittene Werbetracking nur bei Minderjährigen und für die Profilbildung aufgrund sensibler Daten eingeschränkt werden soll – und nicht für alle User. „Von den tiefgreifenden Ambitionen des Europaparlaments ist fast nichts übrig geblieben“, so Breyer. Letztlich hätten sich Industrie- und Regierungsinteressen durchgesetzt.

„Meilenstein“

Die Mehrheit der Abgeordneten sieht das allerdings anders. Sie freut sich, dass die EU nun Pionierarbeit im Internet leiste und den Tech-Konzernen enge Fesseln anlege. Bei Verstößen gegen den DMA drohen den Firmen Bußgelder von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes, beim DSA können noch bis zu sechs Prozent fällig werden.

Von einem „Meilenstein“ sprach sowohl die FDP als auch die Linke – eine seltene Übereinstimmung. Vorbehalte äußerte dagegen der europäische Verbraucherverband BEUC. Die Konsumenten würden beim Online-Shopping zwar besser geschützt, so BEUC-Expertin Ursula Pachl. Es gebe jedoch auch noch einigen Nachholbedarf.

So kämen immer noch zu viele illegale oder gefährliche Produkte auf den virtuellen Markt. Zudem verfüge die EU-Kommission nicht über genug Personal und Expertise, um die effektive Durchsetzung der neuen Internet-Gesetze zu sichern.

„Kein großer Wurf“

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Kritik kommt auch aus Deutschland. „Der Digital Services Act ist leider nicht der große Wurf geworden, den die Kommission angekündigt hatte“, sagte Tom Jennissen von der Digitalen Gesellschaft.

Trotz einiger Verbesserungen bleibe der Kern des Geschäftsmodells großer Plattformen unangetastet: „Das massenhafte Ausspähen und die detaillierte Profilbildung zum Zweck der Ausspielung möglichst passgenauer, personalisierter Werbung.“

Amazon, Facebook oder Google haben sich denn auch schnell mit den neuen EU-Regeln angefreundet. Ob es den Usern ebenso gehen wird, bleibt abzuwarten. Die Umsetzung soll im Herbst beginnen, 20 Tage nach der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt.

Siehe auch „EU-Kommission bekommt direkten Zugriff aufs Internet

Watchlist

Scheitert die Taxonomie der EU-Kommission, die Atomkraft und Naturgas für „nachhaltige“ Investments empfiehlt? Darüber wird am Mittwoch das Europaparlament abstimmen. Um die Verordnung zu stoppen, bräuchte es eine absolute Mehrheit von 353 der 705 Abgeordneten. Klimakommissar Timmermans hat sich bereits von der Vorlage distanziert, die seine Chefin von der Leyen in der Sylvesternacht vorgelegt hatte. Allerdings hat er nicht gesagt, wie die EU ohne Atom und Gas durch die Energiekrise kommen will…

Was fehlt

Die britische Regierungskrise. Begleitet von scharfer Kritik an Premier Boris Johnson legten am Dienstag zunächst Gesundheitsminister Sajid Javid und nur Minuten später auch Finanzminister Rishi Sunak ihre Ämter nieder. Beide nahmen dabei vor allem den Führungsstil des 58-Jährigen ins Visier. Die Opposition frohlockte. „Nach all dem Schmutz, den Skandalen und dem Versagen steht fest, dass diese Regierung jetzt zusammenbricht“, sagte Labour-Parteichef Keir Starmer. Doch noch klammert sich Johnson an seinen Job…