Dragollande oder was?

In Brüssel hat er die Berliner Pickelhaube abgesetzt

EZB-Chef Draghi hat sich heute im Europaparlament für einen „Wachstumspakt“ ausgesprochen. Damit geht der Italiener offenbar auf eine zentrale Forderung des sozialistischen Präsidentschafts-Kandidaten Hollande in Frankreich ein. Die FTD meldet schon, Draghi rücke vom deutschen Spardiktat ab. Auch der Blog ForexLive sieht Hollande bestätigt. Kommt nach Merkozy nun Dragollande? Die Lage ist etwas komplizierter.

Das hat Draghi gesagt (zitiert laut AFP):

„Wir haben einen Haushaltspakt (…) wir müssen zurückgehen und daraus einen Pakt für Wachstum machen“, sagte Draghi vor dem Finanz- und Wirtschaftsausschuss des Europaparlaments in Brüssel im Hinblick auf den europäischen Fiskalpakt für strikte Haushaltsdisziplin. Die bereits eingeleiteten Maßnahmen in den einzelnen Ländern müssten begleitet werden von „Strukturreformen, die Energien freisetzen“.

Und so präsentiert Forex die Sache:

A few timely comments on the need for a growth pact from ECB chief Draghi has given Sarkozy-challenger Hollande the upper hand with less than to weeks to go until the election. His campaign claims that Hollande has changed the debate across the EU.

He’s contributed, but he’s also gotten a bit lucky (collapse of Dutch government a big catalyst for the shift in tone) , which is very helpful in a truncated campaign.

Doch diese Interpretation geht genau wie der FTD-Bericht zu weit. Draghi hat nichts anderes gesagt, als das, was Merkel und Sarkozy bereits im Januar verkündet haben: Dass man sich künftig, ergänzend zum eingeschlagenen Sparkurs, um das Wachstum in Euroland kümmern müsse, und dass dafür vor allem Strukturreformen nötig seien.

Draghi setzt sich also keineswegs vom deutschen Spardiktat ab, er passt nur seine Rhetorik an den absehbaren Wahlsieg Hollandes an. Genau wie die EU-Kommission, die auch immer öfter von „wachstumsfreundlicher Konsolidierung“ oder „ungenutzten Wachstumspotentialen des Binnenmarkts“ redet – und neoliberale Reformen wie Liberalisierung und Privatisierung meint (siehe dazu auch „Sie reden von Wachtum“).

Hollande geht es jedoch um etwas anderes. Er will den Fiskalpakt, der eine antizyklische Wirtschaftspolitik fast unmöglich macht, um einen Wachstumsaspekt ergänzen. Und er möchte das EZB-Mandat, das sich nach deutschem Vorbild allein auf die Preisstabilität bezieht, nach US-Vorbild erweitern. Außerdem fordert er, den Euro-Rettungsschirm mit einer Banklizenz zu versehen, damit er EZB-Liquidität anzapfen kann.

Davon hat Draghi jedoch kein Wort gesagt, im Gegenteil: Der Mann, der in Berlin schon mal mit einer Pickelhaube posiert, wird sich gemeinsam mit Merkel mit Händen und Füssen dagegen wehren. Doch immerhin kann sich Hollande nun brüsten, eine Diskussion losgetreten und die Hegemonie über das Thema erkämpft zu haben.

Der Meinungsstreit um den Euro und die richtige Reformstrategie ist eröffnet – endlich!

 


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