Die USA geben Gas (für Sanktionen), die Nato sagt Nein – und eine “digitale Dekade”

Die Watchlist EUropa vom 27. Januar 2022 –

Die geplanten Russland-Sanktionen würden die EU massiv treffen. Das liegt zwar auf der Hand (wir haben frühzeitig gewarnt), doch bisher war es offiziell kein Thema. Doch das ändert sich gerade – auf verblüffende Weise. Denn nun arbeiten EU und USA mit Hochdruck daran, Europa unabhängiger von Gaslieferungen aus Russland machen. Dies bestätigte ein Sprecher der EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel.

US-Präsident Joe Biden hat es besonders eilig. Er ließ extra ein Pressebriefing im Weißen Haus abhalten, bei dem anonyme Präsidentenberater über die Energiekrise in Europa dozieren durften. “Wir arbeiten mit Ländern und Unternehmen auf der ganzen Welt zusammen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten“, sagte ein Berater.

Die größte Sorge sei, dass Russland den Gastransit durch die Ukraine unterbrechen könnte. Es seien aber auch andere, extremere Szenarien denkbar. Deshalb arbeite die USA an Notfallplänen. Dazu sei man mit Gasproduzenten in Nordafrika, dem Nahen Osten, Zentralasien und Australien im Gespräch. Auch US-Flüssiggas komme infrage.

Die USA sind in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Öl- und Gasproduzenten aufgestiegen. Sie versuchen schon seit langem, ihr schmutziges Fracking-Gas in den europäischen Markt zu drücken. Allerdings ist das so genannte LNG wesentlich teurer als Erdgas – und die Kapazitäten sind jetzt schon weitgehend ausgelastet.

Hinter den scheinbar selbstlosen Hilfe der USA stehen also massive wirtschaftliche Interessen. Doch Brüssel sieht offenbar kein Problem. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe mit Biden über die Versorgungslage und mögliche Notpläne geredet, sagte ihr Sprecher. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sei von den Amerikanern „debrieft“ – also informiert – worden. Beides ist ungewöhnlich.

Europäische Souveränität? Egal!

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Normalerweise besteht die EU darauf, ihre Energieversorgung in Eigenregie zu sichern. Zudem mischt sie sich nicht in den nationalen „Energiemix“ ein, der in Deutschland stark auf (russisches) Gas setzt. Selbst die leeren Gaslager waren in Brüssel bisher kein Thema. Frankreich und Spanien forderten EU-Hilfe – erfolglos.

Doch angesichts der Eskalation um die Ukraine ist alles anders. Plötzlich wird Deutschland als Problemfall betrachtet, dem man „helfen“ müsse. Ziel der Gespräche sei es, dass alternative Gas-Lieferungen nicht erst in Monaten, sondern binnen Tagen bereitgestellt werden könnten, heißt es in Washington und Brüssel.

Allerdings ist unklar, auf welchen Fall sich die USA und die EU vorbereiten. Bisher hat Russland nicht mit einer Unterbrechung der Gaslieferungen gedroht – schließlich sichern sie wichtige Deviseneinnahmen. Demgegenüber fordern die USA, dass Nord Stream 2 ein für alle Mal gestoppt werden müsse, falls es zu einem Krieg kommen sollte.

Mit Sanktionen zum “Worst Case”

Ein Stopp von Nord Stream 2 im Rahmen eines Wirtschaftskriegs könnte allerdings nur der Anfang sein. Die USA und die EU stellen sich auch auf eine mögliche Gegenreaktion Russlands ein. Moskau könne Gas als Waffe nutzen und den Gashahn zudrehen, sagte der Biden-Berater in Washington. Auch dafür müsse man gerüstet sein.

Die USA planen also für einen „Worst Case“, die sie mit ihren Forderungen selbst herbeiführen würden. Dieser Notfall hätte sogar Vorteile, heißt es in Washington. Denn damit würden Russland dringend benötigte Deviseneinnahmen verloren gehen. Die Führung im Kreml würde doppelt bestraft – bei Nord Stream, und beim Geldbeutel.

Und genau das ist offenbar das Ziel der USA. Wenn sich die EU nicht wehrt, werden sie es früher oder später erreichen…

Siehe auch “Die EU schießt sich selbst ins Knie”

Watchlist

Die USA und die Nato lehnen die Forderungen Russlands für eine neue Sicherheitsordnung ab. Die offene Tür der Nato für mögliche Mitgliedskandidaten wie die Ukraine und die Präsenz des Militärbündnisses in Osteuropa seien Kernprinzipien, die man nicht aufgeben werde, sagte US-Außenminister Blinken. “Es gibt keine Änderung, es wird keine Änderung geben.” Als “Trostpreis” bot die Nato Verhandlungen über die Stationierung von Raketen und Militärmanöver an. Nun liegt der Ball wieder in Moskau…

Was fehlt

Zweiundzwanzig Jahre nach dem Platzen der Internet-Blase hat die EU-Kommission eine “digitale Dekade” ausgerufen. Sie soll mit “digitalen Rechten” für alle EU-Bürger einhergehen. Die leichte Verspätung zeigt schon, dass man von dem Plan nicht viel erwarten sollte – denn das ganze ist obendrein freiwillig. „Wir wollen sichere Technologien, die für die Menschen funktionieren und unsere Rechte und Werte achten, auch wenn wir online sind“, sagte Frau Vestager. Das wollen wir auch. Und was machen wir nun?