Die Schattenseiten von Macrons “Revolution”
Na endlich, nun beginnt die “Revolution” von Präsident Macron – mit einer überfälligen Reform des Arbeitsmarkts! So berichtet SPON über die Lage in Frankreich. Doch Macrons Kickstart hat viele Schattenseiten.
- Es ist längst nicht die erste – und wohl auch nicht die letzte – Arbeitsmarktreform. Macron selbst hat vor einem Jahr schon für “Flexibilisierung” gesorgt, ohne große Wirkung. Nun will er noch weiter gehen. 61 % der Franzosen sind deshalb besorgt. Die Gewerkschaft CGT hat den 12. September zum Aktionstag ausgerufen.
- Die Reform wird von einer Affäre um die zuständige Arbeitsministerin Pénicaud überschattet. Dabei geht es um eine sündhaft teure Fete, die sie 2016 in Las Vegas organisiert hat – offenbar auf Kosten des Steuerzahlers. Zudem will sie in ihrem eigenen Ministerium Stellen streichen, was Proteste ausgelöst hat.
- Macron selbst plant eine Art Krönungsmesse in Versailles. Dort will er vor den neu gewählten Abgeordneten eine Rede nach dem Vorbild des US-Präsidenten halten. Danach will er sich nicht mehr zu seinem umstrittenen Reformprogramm äußern – auch nicht am 14. Juli (Nationalfeiertag), wie bisher in Frankreich üblich.
- Ausgerechnet zum 14. Juli hat Macron den auch in Frankreich ungeliebten US-Präsidenten Trump eingeladen. Offiziell geht es um das 100jährige Jubiläum des amerikanischen Kriegseintritts im 1. Weltkrieg. De facto geht es aber wohl um Weltmacht-Politik; vor allem zu Syrien arbeiten beide (bedenklich) eng zusammen.
- Für Unruhe sorgt auch die geplante Anti-Terror-Gesetzgebung. Macron will den Ausnahmezustand in normales Recht überführen und so permanent machen. Damit könnte auch das umstrittene Demonstrationsverbot verlängert – und jederzeit gegen mißliebige Opponenten eingesetzt – werden.
Insgesamt nimmt Macrons “Revolution” zunehmend autoritäre Züge an. Der Präsident regiert auf dem Verordnungswege (weitgehend am Parlament vorbei) und präsentiert sich wie ein absolutistischer Herrscher.
Regierung und Opposition haben kaum noch etwas zu melden. C’est ca, la République en marche?
Peter Nemschak
1. Juli 2017 @ 16:17
@hintermbusch Macron muss schnell handeln, um ans Ziel zu gelangen, bevor sich Widerstand formieren und organisieren kann. Den gibt es sicher, da es genug Bremser gibt, die den Zug aufhalten wollen. Manchmal steht zu viel Demokratie der Zielerreichung Im Weg. Die Leute werden sich an die Reformen gewöhnen. Die Karavane wird weiterziehen. Allen recht wird man nie machen können.
hintermbusch
30. Juni 2017 @ 16:34
Macron hat es mit einem großen Risiko zu tun: der Mehrheit, die er selbst ins Parlament gebracht hat. Sie kennen ihn kaum, er kennt sie kaum. Das wird sich ändern.
“Der Präsident regiert auf dem Verordnungswege (weitgehend am Parlament vorbei)”
Das wäre ein sehr schlechter Anfang, wenn man so eine Mehrheit gewonnen hat. Ist Macron wirklich so verzweifelt und ohne Hoffnung? Gibt es dazu schon Fakten oder ist es nur eine Befürchtung?
Peter Nemschak
30. Juni 2017 @ 18:03
Macron ist nicht ohne Hoffnung oder gar verzweifelt. Er benützt bloß in seinem Sinn die Instrumente des französischen Regierungssystems. Warum nicht?
hintermbusch
1. Juli 2017 @ 09:41
Weil es andere Instrumente gibt, die seinen Maßnahmen mehr demokratische Legitimität verschaffen würden. Er zeigt Schwäche, wenn er diese vermeidet.
Man darf nicht vergessen, dass sowohl bei seiner Wahl, als auch besonders bei der Wahl der Parlamentsmehrheit die Stimmenthaltung im 2. Wahlgang den höchsten Stand in der 5. Republik erreicht hatte: 56%.
In dieser Situation sollte Macron den Eindruck einer Präsidentschaft auf Messers Schneide nicht noch verstärken. Wenn er anfängt,eine Austeritätspolitik mit Verordnungen zu betreiben und dann diese Politik in einem Umfeld einer latenten Nachfrageschwäche die Krise nicht entschärft, sondern verschlimmert, könnte er sehr schnell in eine Lage geraten, wo mehr auf dem Block liegt als seine Präsidentschaft.
Oudejans
30. Juni 2017 @ 12:28
En marche – manchmal ist drin, was draufsteht.
Da in Macrons Bankercarrière wohl ab iuventute alles funktioniert hat wie angepriesen, steht nicht zu erwarten, daß er ein gebrochenes Verhältnis zu seiner biographischen Gegenwart entwickelt hätte (à la: ‘Kapitalismus funktioniert nicht’) und wird jetzt die Franzosen nach dem Tucholsky-Prinzip beglücken – wer einen Hammer hat, dem wird die ganze Welt zum Nagel.
Vielleicht schafft er so die Bedingungen für eine kommende Revolution. Der Krug geht nämlich noch immer nur so lange zum Brunnen, bis er bricht.
Die FAZ schreibt heute von Frankreichs neuer “extremer Mitte”.
Die sie tragenden Schichten müssen die Prinzipien der Republik verraten, um sie zu töten.
Eine Außenseiter-Bewegung wie die von Le Pen angeführte ist eher die Karikatur einer antirepublikanischen Gefahr.
Wieder die Falschen bekämpft?
Peter Nemschak
30. Juni 2017 @ 11:42
ad3. Die Politinszenierungen in Frankreich hatten traditionell monarchischen Charakter, offenbar ein Ergebnis des nationalen Selbstverständnisses und des Präsidialsystems.
ad4. Die Zusammenarbeit mit den USA in Syrien ist positiv zu bewerten, nachdem sich Deutschland ziert, weltpolitisch aktiver zu werden. Die Zukunft Syriens allein Russland, dem Iran und den USA zu überlassen wäre grob fahrlässig, nachdem Europa von den Folgen des Krieges besonders betroffen ist
Dixie Chique
30. Juni 2017 @ 14:28
Naja, Macron setzt noch einen drauf und strotzt dank medial ventilierter Aufwinde und dem echten big fat old money im Rücken geradezu vor neoliberalem, jetzt neo-autoritärem Selbstbewußtsein. Ähnlich auch Merkel, die sich im selben Aufwind wähnend sogar TTIP wiederbeleben will, Bambi-Lindner kommt da wie gerufen.
Das selbe – weil kontinentenübergreifende – big fat old money hat soeben Trumps’ Rückwärtssalto im Nahen Osten erzwungen. Er ist halt einfach nicht im selben Club, dieser Trump. Seine Milliarden sind Peanuts, seine Las Vegas-Kontakte aus der dritten Riege, verglichen mit den lichtscheuen fat cats. Die sehen, wie sich seit Seattle und Genua der Wind in den Köpfen der Völker gedreht und Phänomene wie Syriza (nur die v.1.0), Podemos, Melenchon, Corbyn und auch Trump hervorgebracht hat, und reagieren nun mit.. Reaktion. Von der ganz üblen, vermeintlich überwundenen, wenn’s sein muß auch blutigen Sorte, Sie wissen schon, Abhörwanzen in jedem Wohnzimmer, Bundeswehr im Inneren und sowas alles.. Und sie drücken dabei ganz schön auf die Tube, auch klar!
Also bleibt auch den Friedens- und Gerechtigkeitsbewegten nichts übrig, als noch mehr und fokussierter auf die Tube zu drücken. Trotz aller zunehmenden exekutiven Widerstände, fehlender Budgets, medialer Verleumdung, einzig ausgestattet mit der Waffe des besseren Argumentes.
Was vermögen sie auszurichten, wenn sich die Unterlinge in den Redaktionsstuben, den Armeekasernen und Streifenwagen nicht endlich auch solidarisieren mit ihren zunehmend fassungs- und hoffnungslosen Mitbürgern?
Dann wäre es nämlich möglich, und gar nicht so schwer, den fat cats und ihrer Dienstleisterkaste (die, die immer als “Elite” durchgehen, obwohl sie selbst nur Butler sind) einfach den Rücken zu kehren, ihre Regeln und Ansichten und Schulen zu ignorieren, ihr “Geld” als Humbug zu schmähen und einfach nicht mehr zu benutzen, sie schlicht wie Deppen stehen zu lassen auf ihrem Spielbrett.
Die Welt ist nämlich kein Spielbrett.