Die Regeln sind das Problem
Der frühere italienische Premier Monti nannte die EU-Haushaltsregeln “dumm”, Innenminister Salvini findet sie “dämlich”. Spinnen die Italiener? Nein – zwei aktuelle Gutachten stellen das (deutsche) Regelwerk infrage.
Eine Studie habe ich in diesem Blog bereits erwähnt. Es geht um den Jahresbericht des “European Fiscal Board”, der die EU-Kommission berät. Wie neuerdings üblich, ist er gut auf der Website der EU-Behörde versteckt.
In ihrer Untersuchung der Fiskalregeln kommen die Experten zu dem Schluß, dass das EU-Regelwerk durch die in der Eurokrise hastig eingeführten Reformen viel zu kompliziert und widersprüchlich geworden sei.
The reforms of the SGP have given rise to a framework that presents internal inconsistencies.
Sie fordern eine radikale Vereinfachung – und denken sogar darüber nach, die Vorschriften zum Budgetdefizit kurzerhand zu streichen. Dabei geht es just um jene Regeln, gegen die Rom derzeit verstößt!
Der zweite Bericht kommt vom Brüsseler Thinktank Bruegel, der ebenfalls die Kommission berät. Er heißt “European fiscal rules require a major overhaul” – der Titel ist Programm. Auch diese Experten üben scharfe Kritik:
The rules contributed to excessive fiscal austerity during the crisis, thus helping to aggravate and prolong its economic, social and political consequences.
Die Fiskalregeln – also der Stabilitätspakt, der Fiskalpakt, der Six-Pack und Two-Pack – hätten die Eurokrise nicht nur nicht verhindert, sondern durch blinde Austerität auch noch verschärft, so die Autoren.
Sie bestätigen damit die These des Gastbeitrags von N. Häring in diesem Blog, der sich wiederum auf Experten der EZB stützt.
Aktuell noch spannender ist die Kritik am EU-Konzept des “strukturellen Defizits”, das in der Debatte um den italienischen Budgetentwurf eine zentrale Rolle spielt. Noch ein Zitat aus dem Bruegel-Papier:
In addition, the rules suffered from large measurement problems. They are based on a valid theoretical concept – the structural budget balance – but this is not observable and its estimation is subject to massive errors.
Zu gut deutsch: Das Konzept eines “strukturell ausgeglichenen Haushalts” lässt sich in der Praxis nicht nachvollziehen, da es auf Schätzungen beruht – und unterliegt “massiven Fehlern”.
Und mit derlei wackligen Theorien und Zahlenspielen will man sich über eine – trotz allem – demokratisch gewählte Regierung und ihre finanzpolitischen Entscheidungen hinwegsetzen?
Siehe auch “Italien: Ohrfeige für den Souverän”. In dieselbe Richtung argumentiert P. De Grauwe in diesem Blogpost (english)
Die 3% Deficit und 60% Schulden Obergrenzen haben absolut kein Macro ökonomisches Fundament. Sie wurden 1981 von einem völlig unbekannten jungen französischen Ökonom zufällig erfunden und zwar innerhalb von ein paar Stunden, sozusagen als eine Art Zeitvertreib. Es liegen keine tiefgreifende Macro ökonomische Studien dahinter, es ist ein Zufallsprodukt. Diese Regeln sind für das Funktionieren eines optimalen Währungsraumes nichtssagend und irrelevant.
En juin 1981, alors qu’il était chargé de mission à la Direction du Budget du ministère des Finances, Guy Abeille raconte1 avoir été mandaté avec son chef de bureau de l’époque Roland de Villepin, d’établir un critère économique utilisable par le Président Mitterrand dans ses discours. Faute de mieux, Abeille et Villepin proposent alors ce critère relativement simple basé sur un ratio déficit/PIB qui, du propre aveu d’Abeille, « ne mesure rien » et sur une norme (3 %) qui « n’a pas d’autre fondement que celui des circonstances » (le déficit budgétaire de l’époque atteint déjà presque 3 % du PIB)2. Dans une interview donnée à France Info le 24 février 2016, il réitère cette position en se demandant si « le niveau de 3% de déficits publics a encore une validité économique »
https://fr.wikipedia.org/wiki/Guy_Abeille