Deutschland folgt Belgien, Mindestlohn empört Business – und Hungerstreik fürs EU-Budget
Die Watchlist EUropa vom 29. Oktober 2020 –
Eine “nationale Kraftanstrengung” soll es sein, was Kanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten am Mittwoch zur Corona-Abwehr beschlossen haben. Restaurants und Hotels werden geschlossen, Kontakte noch mehr beschränkt.
Originell ist es allerdings nicht. Fast dasselbe hat Belgien bereits vor zwei Wochen verkündet. Am 16. Oktober erklärte der neue belgische Premier De Croo, dass die Gastronomie vier Wochen dicht machen würde.
Geholfen hat es nicht. Im Gegenteil: Seit dem “befristeten” Lockdown hat sich das Infektionsgeschehen in Belgien weiter beschleunigt. Das Land führt nun die “Hitliste” der Krisenländer in EUropa. Und die Vier-Wochen-Frist wurde klammheimlich kassiert.
Das sollte Merkel und den Regionalfürsten zu denken geben. Deutschland hat keineswegs besonders mutige oder originelle Maßnahmen beschlossen. Das größte EU-Land folgt vielmehr Belgien – und es gibt keinerlei Garantie, dass es bei “uns” besser läuft als dort.
Im Unterschied zu März ist das Virus nun nämlich überall – auch in Mecklenburg-Vorpommern oder in Berlin, die im Frühjahr weitgehend verschont wurden. Zudem befindet es sich, jahreszeitlich bedingt, im Aufschwung – und nicht im Abschwung, wie im Frühjahr.
Was auf Deutschland zukommen könnte, sehen wir jetzt schon in Frankreich. Dort ist die Zahl der Neuinfektionen auf über 50.000 gestiegen – trotz frühzeitiger Maßnahmen. Nun hat Präsident Macron eine neuen Lockwon bis 1. Dezember verhängt.
Doch auch dieses Datum dürfte sich kaum halten lassen. Die Vier-Wochen-Frist dient nur zur Beruhigung der – völlig zu Recht besorgten – Bürger. Ich würde keinen Penny darauf wetten, dass die Maßnahmen im Dezember wieder aufgehoben werden.
Doch was passiert, wenn Merkel und Macron ihr Versprechen brechen – und den Lockdown verlängern, wie in Belgien? Wird es dann zu Revolten kommen, wie in Spanien und Italien? Oder bleibt der deutsche Michel brav und gefolgsam wie immer?
Siehe auch “Zwischen Corona-Fatigue, Resignation und Revolte”
P. S. Im Unterschied zu Belgien habe Deutschland gerade noch rechtzeitig gehandelt, heißt es in Berlin. Dafür hat man sogar ein neues Wort geprägt: den “Wellenbrecher-Lockdown”. Doch was, wenn auf die zweite Welle eine dritte folgt?
Watchlist
Wo ist eigentlich die EU, wenn man sie mal braucht? Das müssen die Staats -und Regierungschefs am Donnerstagabend bei ihrem ersten Corona-Videogipfel erklären. Der deutsche EU-Vorsitz, der eine “Corona-Präsidentschaft” angekündigt hatte, hat vier Monate gebraucht, um eine Krisensitzung einzuberufen. Nun ist EUropa wieder in einem nicht erklärten Notstand – doch geschehen ist bisher fast nichts… – Siehe auch “Dieser Notstand wäre vermeidbar gewesen”
Was fehlt
Die Wut der Arbeitgeber. Die EU-Kommission habe ein „rechtliches Monster“ vorgelegt, kritisierte Markus J. Beyrer vom Dachverband „Business Europe“ unter Verweis auf die neue EU-Richtline zu Mindestlöhnen. Viele Unternehmen kämpften wegen Corona jetzt schon ums Überleben, so Breyer. Sie könnten sich keine „gefährlichen Experimente mit Mindestlöhnen auf EU-Ebene“ leisten. – Mehr dazu hier
Das Letzte
Im Streit um das neue EU-Budget ist der französische Europaabgeordnete P. Larrouturou in den Hungerstreik getreten. Damit wolle er Druck auf die Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron ausüben, schrieb der 56-Jährige auf Twitter und Facebook. Er bekräftigte dabei seine Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer. Sie wird auch von anderen EU-Abgeordneten erhoben – doch der deutsche EU-Vorsitz mauert…
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European
30. Oktober 2020 @ 11:17
“Viele Unternehmen kämpften wegen Corona jetzt schon ums Überleben, so Breyer. Sie könnten sich keine „gefährlichen Experimente mit Mindestlöhnen auf EU-Ebene“ leisten.”
Irgendwie scheint diesen Unternehmern entgangen zu sein, dass sie zahlungskräftige Kunden brauchen, die ihre Produkte kaufen. Es wundert nicht, denn diese Mär wurde spätestens seit der Finanzkrise, eigentlich sogar noch viel früher, landauf landab gepredigt. Die Bundesregierung rechnet wohl auch schon wieder mit satten Überschüssen nach der Krise, die uns dann wieder aus dem Schlamassel helfen sollen.
Das Konzept: Jedes Land sucht sich ein Ausland für die Defizite und eins für die Schulden. Dann haben wir unsere Hausaufgaben gemacht ;).
Ganz aufschlussreich dazu der Dialog zwischen Heiner Flassbeck und Jens Berger:
https://www.youtube.com/watch?v=pFz_bOPACME
Ansonsten kann man nur feststellen, dass die 2. Welle absehbar war, aber der Sommer seitens EU und Ratspräsidentin irgendwo im nirgendwo verbracht worden ist. Ich hätte zumindest koordinierende Maßnahmen erwartet, z.B. was freie Krankenhauskapazitäten anbetrifft, Schutzkleidung, Masken, Medikamente und Beatmungsgeräte. Ich bin nicht sicher, ob es wirklich hilft, sich nun gegenseitig innerhalb der EU zum Risikogebiet zu erklären.
ebo
30. Oktober 2020 @ 11:31
Volle Zustimmung! Es wäre die Aufgabe des deutschen EU-Vorsitzes gewesen, zu koordinieren. Geschehen ist nichts.
Stattdessen hatte Berlin nichts Wichtigeres zu tun, als Brüssel zum Risikogebiet zu erklären, was die EU zusätzlich lähmte..
Nun folgt der Offenbarungseid: Im November soll es gar keine “physischen” Treffen mehr geben, auch nicht in Berlin!
Holly01
29. Oktober 2020 @ 08:36
Dieses Gequake der Geld-/Arbeitsplatzinhaber ertönt jedes Mal.
Das darf man nicht ernst nehmen.
Die sind wie Bauern, da ist auch jedes Wetter mies ….
Wenn das nicht solche geldgierigen Idioten wären, würden die erkennen, das Löhne = Umsatz = Binnenmarkt sind und das Lohn die Soziallasten senkt.
Win – win pro Lohnquote.
vlg