Der bedenkliche Hype um Kallas

Nach ihrem Wahlsieg wird Estlands Regierungschefin Kallas gefeiert. Die “eiserne Lady” habe mit ihrem harten Kurs gegen Russland triumphiert, heißt es. Stimmt das?

Nur bedingt. Kallas hat zwar so viele Direktstimmen geholt wie noch nie ein Abgeordneter zuvor. Mit 31 Prozent der Stimmen und 37 Sitzen liegt ihre liberale Reformpartei auch im Parlament klar vorn.

Doch von einem “Triumph” (“Süddeutsche”) kann keine Rede sein. Die beiden Oppositionsparteien EKRE und Zentrum kommen mit 16 bzw. 15 Prozent zusammen auf ähnliche viele Stimmen.

Die Wähler in Estland sind also gespalten; von ungeteilter Zustimmung zum Konfrontationskurs gegen Russland kann keine Rede sein. Vor allem die russischsprachige Minderheit macht nicht mit.

Wirtschaftlich erfolgreich ist Kallas auch nicht. Die Inflation liegt mit knapp 20 Prozent auf europäischem Rekordniveau. Der massive Kaufkraft-Verlust und der harte Kriegkurs befeuern die Populisten.

Last but not least muß Kallas um ihren Sieg bangen – denn EKRE will die Wahl anfechten. Ausgerechnet das hochgelobte Online-Wahlsystem, das Estland schon 2005 einführte, sorgt für Streit.

Der Hype um Kallas ist daher übertrieben. Bedenklich ist er auch. Denn damit sollen offenbar auch andere EU-Politiker ermuntert werden, auf Kriegskurs zu schwenken.

Von Kallas lernen heißt siegen lernen, heißt das fragwürdige Motto…

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P.S. Kallas will Estnisch als Unterrichtssprache durchsetzen, schon 2024 soll es losgehen – sogar im Kindergarten. Das erinnert an die ukrainische Sprachpolitik. Gemeinsames Ziel: Das auch in Estland weit verbreitete Russisch ausmerzen…