Der amerikanische Freund
Die “F*** the EU”-Affäre zieht Kreise. Die USA beschuldigen Russland, hinter dem Leak zu stecken; die Medien greifen dies begierig auf. Doch es geht nicht nur um NSA & Co. Es geht auch um Europa und die Geopolitik: Der “amerikanische Freund” hält uns gnadenlos den Spiegel vor.
Scheinbar nimmt niemand ernst, was die US-Europaexpertin Nuland in ihrem “F***”-Video gesagt hat. Dabei spricht es Bände über das geopolitische Ringen um die Ukraine.
- Die USA wollen Präsident Janukowitsch so schnell wie möglich loswerden, deshalb dringen sie auf sofortige Sanktionen, ganz egal, was in der Ukraine passiert.
- Die USA trauen der EU keine Krisenlösung mehr zu, sie wollen lieber die Uno einschalten (wo sie selbst den Ton angeben, aber auch Russland vorführen können).
- Die USA halten nichts von Merkels Liebling Klitschko. Sie förden dessen Rivalen Jazenjuk, was Merkels Wut über das “inakzeptable” Verhalten der USA erklärt.
Die Amerikaner halten der EU damit den Spiegel vor – und sie haben in weiten Teilen recht. Die EU kann es nicht, Klitschko kann es nicht, Merkels Schlingerkurs hat die Lage in Kiew nur verschlimmert.
Während die Amerikaner ganz offensichtlich und ungeniert einen Machtwechsel in Kiew betreiben, wissen die Europäer immer noch nicht, was sie eigentlich wollen. Sie haben keine Strategie.
Zwar bereitet Brüssel nun Sanktionen vor, wie EU-Diplomatin Schmid ausplauderte. Merkels Vertrauter E. Brok arbeitet im Hintergrund schon an einer neuen Verfassung (wer hat ihn eigentlich beauftragt?).
Doch was aus der Ukraine nach einem möglichen Machtwechsel werden soll, ist unklarer denn je. Einen Beitritt, wie er neuerdings in Brüssel ventiliert wird, kann sich die EU schlicht nicht leisten.
Eine Partnerschaft, wie sie noch in Vilnius angeboten wurde, würde nicht einmal mehr der ukrainischen Opposition genügen. Das Assoziierungsabkommen war ein vergiftetes Geschenk – sagen sogar US-Experten.
Nicht einmal eine Stützung des Landes kann die EU alleine stemmen. Sie ist (wie schon in der Eurokrise) auf die Hilfe des IWF angewiesen – und natürlich auf den “amerikanischen Freund”…
…und das zehn Jahre nach dem Irak-Krieg und sechs Jahre nach Lehman-Brothers. Wann sagen wir Europäer eigentlich mal “F*** the US” – und nehmen unser Schicksal in die eigene Hand?
Siehe auch “The new Great Game” und meinen Hangout mit Euromaidan-Aktivisten bei T. Jung: “Klitschko kann es nicht”
fufu
10. Februar 2014 @ 21:22
Da erstaunlicherweise bei manchen noch Unwissenheit herrscht, was das “Freihandelsabkommen” wirklich bedeutet hier ein link
http://occupylondon.org.uk/information-kit-useu-transatlantic-trade-and-investment-partnership-ttip/
Peter Nemschak
11. Februar 2014 @ 09:06
Sie zitieren eine fundamentalkapitalismuskritische Quelle. Es gibt aber auch liberale Zugänge zum Thema Außenhandel. Ich neige eher zu letzteren.
fufu
10. Februar 2014 @ 19:28
Herr Nemschak, ich habe schon versucht Ihnen zu erklaeren, dass es zwar Freihandelsabkommen heisst, aber mit freiem Handel nichts zu tun hat. Sie fallen immer wieder selbst auf die von Ihnen selbst haeufig angewandte Begriffsverdrehung herein. Falls dieses Abkommen zustande kommt wird Sie uebrigens niemand fragen ob Sie genmodifizierte Nahrung moechten oder nicht.
Tim, ich habe diese EU nie verteidigt oder fuer gut befunden, sondern einfach fuer unoetig. Unterschiede zwischen Europa und den USA gibt es zum Glueck noch, die konnte die EU bisher nicht zerstoeren. Ich persoenlich moechte kein amerikanisches Auto fahren oder mich von Fastfood ernaehren, aber wem’s schmeckt …
fufu
10. Februar 2014 @ 00:47
Herr Nemschak, wenn es bei dem “Freihandelsabkommen” um Handel ginge koennten Sie ja recht haben. Aber die Amerikaner wissen ja selbst, dass ihre minderwertigen Produkte in Europa nicht gefragt sind (vielleicht abgesehen von ein paar Halbleiterchips). Es geht ja nur um Standardisierung, Ausgrenzung und Dominanz. Da muesste die EU ein Zeichen setzen. Das wird sie aber nicht tun. Deshalb ist sie auch irrelevant.
Peter Nemschak
10. Februar 2014 @ 11:00
Wenn die amerikanischen Produkte so minderwertig sind, wie sie meinen, hat Europa eindeutig Wettbewerbsvorteile. Niemand zwingt uns, amerikanischen Ramsch zu kaufen. Dass Sie so geringes europäisches Selbstbewusstsein haben, hätte ich nicht gedacht. Europa ist selbst dafür verantwortlich, eine gemeinsame Außenpolitik zu machen. Bei 28 EU-Mitgliedern heißt dies Abgabe dieser Kompetenz an Brüssel. Sie kennen ja bestimmt den Witz: What is a camel? A horse designed by a committee.
Tim
10. Februar 2014 @ 11:00
Immer wieder lustig, dieses deutsche Argumentationsschema. Hier die gute EU, dort die bösen USA. Hier die guten Qualitätswaren, dort der minderwertige Schrott. Hier Kultureuropa, dort der dominante US-Kapitalismus.
Sagt viel mehr über Deutschland aus als über die USA.
fufu
9. Februar 2014 @ 19:44
Erst wenn die EU das Freihandelsabkommen mit den USA kippt bin ich bereit zu glauben, dass die EU und insbesonders Deutschland eine von den USA unabhaengige Politik betreiben. Bisher war Deutschland in der EU stets die marktradikale Speerspitze der geopolitischen Interessen der USA, das gilt fuer die Ukraine wie auch fuer ex-Jugoslawien, wo der Nato-Krieg ja nichts aber auch gar nichts mit Menschenrechten zu tun hatte. Hier eine Konkurrenzsituation konstruieren zu wollen scheint mir mehr ein Schauspiel fuer die Massen zu sein.
Peter Nemschak
9. Februar 2014 @ 22:46
Das zukünftige Verhältnis Europas, insbesondere das geplante Freihandelsabkommen, zu den USA müssen unaufgeregt nach den Vor- und Nachteilen für Europa beurteilt werden. Ressentiments sind auch in der Außenpolitik schlechte Ratgeber. Voraussetzung für ein gedeihliches Verhältnis ist, dass Europa seine Interessen erkennt und verfolgt. Was sind überhaupt die Interessen Europas bzw. der europäischen Staaten im weltpolitischen Machtgefüge?
Peter Nemschak
9. Februar 2014 @ 17:37
Den Amerikanern kann man ihr Verhalten nicht einmal verübeln. Ohne ihr militärisches Eingreifen in den Kosovo Krieg im Rahmen der Nato gäbe es in Serbien nach wie vor Milosevic und seinen Nachfolger. Wenn sich die EU wie ein SCH***verein verhält, wird sie auch als solcher bezeichnet werden. Freund hin oder her. Mir ist bis heute unklar, was die EU in der politisch gespaltenen Ukraine überhaupt erreichen kann und will. Aus der Sicht Russlands ist die Ukraine mit der russischen Flottenbasis auf der Krim militärstrategisch unverzichtbar.
Tim
9. Februar 2014 @ 23:04
In der Ukraine-Frage liegen meiner Meinung nach sowohl die EU als auch die USA falsch. Beide Seiten tun seit langem nichts anderes, als Rußland zu demütigen. Die Wirkung dieser Politik ist (natürlich) der russische Nationalismus, d.h. Putin, d.h. auch die zunehmende Annäherung Rußlands an China. Alles sehr kurz und naiv gedacht.
GS
9. Februar 2014 @ 17:28
Man ist zuweilen geneigt, dem Ausspruch der US-Diplomatin zuzustimmen. Ich denke da allerdings an ganz andere Fragen als die Ukraine (Euro, Sozialpolitik, Freizügigkeit). Den Schweizern scheint es heute ganz ähnlich ergangen zu sein.
Die US-Politik ggü. Russland empfinde ich allerdings als katastrophal. Die EU und Deutschland müssen tunlichst vermeiden, sich von den USA in eine offene Konfrontation zu Russland treiben zu lassen. Mir sind die Mätzchen, die Merkel und Gauck da treiben zuweilen schon viel zu weit. Die Amerikaner müssen sich auf der anderen Seite des Teiches kaum Sorgen darüber machen, was ein Kalter Krieg 2.0 für die (nicht nur rein militärische) Sicherheit Europas bedeutet, weil sie es eben nicht juckt. Gleichsam ist ein ukrainischer Bürgerkrieg für dann auch nur ein Kollateralschaden, den Ukrainer und wir ausbaden müssen. Egal, wer im Weißen Haus sitzt, die Amerikaner sind und bleiben rücksichtslos, wenn es um die Durchsetzung ihrer Ideen und Interessen geht. Ich finde das aus deutscher und europäischer Sicht inakzeptabel.