Das Brexit-Dilemma, der Grundrechte-Streit – und Finnland gefährdet den Wiederaufbau

Die Watchlist EUropa vom 28. April 2021 –

Ein Jahr nach dem Brexit hat das Europaparlament dem Handelspakt zugestimmt, der die künftigen Beziehungen zu Großbritannien regelt. Damit endet die rechtliche Unsicherheit, die durch die zunächst nur vorläufige Anwendung dieses Abkommens entstanden war. Doch Ruhe ist nicht eingekehrt: Nun droht die EU mit Strafzöllen und Quoten.

Das Handels- und Kooperationsabkommen war an Weihnachten 2020 vereinbart worden – kurz vor Toresschluss am 31. Dezember. Brüssel und London konnten damit den drohenden „harten“ Brexit abwenden. Das Europaparlament lehnte es jedoch ab, den Text im Eilverfahren zu ratifizieren, damit er wie geplant am 1. Januar 2020 in Kraft treten konnte

Es ließ sich für die Prüfung viel Zeit, konnte am Ende aber keine substanziellen Änderungen mehr durchsetzen. Selbst die Mitwirkungsrechte, die die Abgeordneten erkämpft haben, wirken schwach. Das EU-Parlament hat sich verzockt und muß nun zähneknirschend einlenken.

„Kein Vertrauen in Johnson“

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Für Frust sorgt auch der Streit um Zollkontrollen in Nordirland. Die EU wirft Großbritannien vor, gegen eine Klausel aus dem schon 2019 vereinbarten Austrittsabkommen zu verstoßen, die offene Grenzen zwischen der britischen Provinz und dem EU-Mitglied Irland garantieren soll. Bei der abschließenden Parlaments-Debatte brach sich nun der Ärger Bahn.

„Wir haben kein Vertrauen in die Regierung von Boris Johnson, erklärte der Chef der größten Fraktion, Manfred Weber (CSU). Wenn er dennoch für das Abkommen stimme, so nur, um Johnson zur Räson zu bringen. Die britische Regierung dürfe die Annahme des Abkommens „nicht fälschlicherweise als Blankoscheck verstehen“, warnte der Konservative Christophe Hansen aus Luxemburg.

Ähnlich äußerte sich der Chef des Handelsausschusses, Bernd Lange (SPD). „Es darf keine einseitigen Aktionen der britischen Regierung mehr geben, ansonsten werden wir nicht zögern, alle Instrumente des Abkommens zu nutzen“, sagte Lange. „So wäre es rechtlich möglich, britische Importe mit Zöllen oder Quoten zu belegen“, ergänzte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, David McAllister (CDU).

Zölle fallen auf die EU zurück

Das letzte Wort hat allerdings nicht das Europaparlament, sondern die EU-Kommission. Behördenchefin Ursula von der Leyen (CDU) sagte, im Streit um Nordirland habe es zuletzt „einige Fortschritte“ gegeben. Allerdings werde ihre Behörde nicht zögern, die im Abkommen enthaltenen Sanktionsmöglichkeiten zu nutzen, falls dies nötig werde.

Bereits jetzt läuft ein Vertragsverletzungsverfahren, mit dem die EU auf die Probleme in Nordirland reagiert. Dieses Verfahren kann sich jedoch monatelang hinziehen. Strafzölle und Quoten würden deutlich schneller wirken – jedoch auch den Handel mit Großbritannien treffen. Zudem könnten sie für noch mehr Unruhe in Nordirland sorgen.

Das wäre kontrapoduktiv – schließlich hat sich Brüssel zur Wahrung des Karfreitagsabkommens verpflichtet. Die EU steckt also in einem Dilemma. Auf Johnson und seine umstrittene Politik in Nordirland hat sie keinen direkten Einfluß mehr – doch wenn sie Strafen verhängt, so könnten sich diese schnell als Bumerang erweisen…

Siehe auch „Never ending Brexit“

Watchlist

Sollen Geimpfte ihre „Grundrechte zurück bekommen“ und ungehindert durch EUropa reisen können – ohne Corona-Tests und Quarantäne-Pflicht? Darüber diskutiert am Mittwoch das Europaparlament. Anlaß ist die für Juni geplante Einführung eines EU-weiten Impfpasses. Bisher ist noch unklar, was in dem Zertifikat registriert werden soll – und was man hinterher damit machen kann. So gibt es Kritik daran, dass auch Impfungen mit nicht von der EU zugelassenen Impfstoffen wie Sputnik V in das Zertifikat aufgenommen werden könnten….

Hotlist

  • Scheitert der Wiederaufbauplan der EU an Finnland? Die Regierung in Helsinki kämpft um ihr Überleben, meldet die „Süddeutsche“, und das Parlament legt die Hürden für die Zustimmung höher. – Im Gespräch ist eine Zweidrittel-Mehrheit, die nach Lage der Dinge kaum noch zu erreichen wäre. Der Aufbauplan kann aber nur starten, wenn alle 27 EU-Staaten den sog. Eigenmittelbeschluß ratifizieren – und genau das steht nun infrage
  • Streit um Impfstoff-Patente: Amnesty International und 30 weitere Organisationen haben die EU aufgefordert, den Patentschutz für Corona-Impfstoffe vorerst auszusetzen. Das lehnt die EU-Kommission jedoch ab, wie das ZDF meldet: „Die Probleme des Zugangs zu Impfstoffen werden nicht durch den Verzicht auf Patente gelöst; sie hängen vielmehr mit dem Mangel an ausreichenden Produktionskapazitäten zusammen“.
  • Neonazi verliert Immunität: Das Europaparlament hat für die Aufhebung der Immunität des neonazistischen Abgeordneten Giannis Lagos gestimmt, der im vergangenen Oktober in Griechenland verurteilt worden war. Die Mehrheit war mit 658 Ja- und 25 Nein-Stimmen eindeutig, berichtet EurActiv. Lagos war am 7. Oktober 2020 in seiner Heimat zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er hatte die „Goldene Morgenröte“ geleitet.