“Exit vom Brexit” – eine gute Idee?
Das Chaos nach der Wahl in Großbritannien sorgt nicht nur für Ärger in Brüssel. Mancher wittert darin auch eine Chance, den ersehnten “Exit vom Brexit” herbeizuführen. Doch wäre das wirklich eine gute Idee?
Als Erster schoß Frankreich Shootingstar Macron aus der Hüfte. Die Tür zur EU stehe weiter offen, so der sehr liberale Franzose. Ähnlich äußerten sich Finanzminister Schäuble und der dänische Außenminister Samuelsen.
Nun hat das Exit-Fieber auch Brüssel erreicht. Ausgerechnet der Chefunterhändler des Europaparlaments, der Liberale Verhofstadt, lädt die Briten zur Rückkehr ein. Sie müssten nur an die Türe klopfen.
“Aber wie bei Alice im Wunderland sind nicht alle Türen gleich”, warnte der Belgier. “Es wäre eine brandneue Tür mit einem neuen Europa, einem Europa ohne Rabatte, ohne Komplexität, mit wirklicher Macht und mit Einigkeit.”
Verhofstadt spielte damit auf den sogenannten Briten-Rabatt an, den die damalige Premierministerin Thatcher in den 80er Jahren für britische Beitragszahlungen in den EU-Haushalt herausgeschlagen hatte.
Diesen Rabatt würde er gerne abschaffen. Doch das ist eine Illusion. Denn auch Deutschland profitiert vom Briten-Rabatt. Gemeinsam mit den Briten hatte Kanzlerin Merkel das letzte EU-Budget gekürzt.
Sollten es sich die Briten noch einmal anders überlegen, so würde das Budget also keineswegs erhöht, wie Verhofstadt wohl hofft. Auch die anderen Blütenträume des Belgiers dürften nicht in Erfüllung gehen.
Es wäre vielmehr ein Rückfall in den Status quo ante – eine Restauration des Ancien Régime, an dem vor allem Merkel mit Haut und Haaren hängt. Denn mit UK wäre sie von Frankreich unabhängiger.
Soll man sich das wirklich wünschen? Nach all dem, was in UK und in der EU seit einem Jahr passiert ist? Schon vor dem Brexit-Referendum ging mit den Briten fast gar nichts. Und jetzt – nicht auszumalen…
Peter Nemschak
15. Juni 2017 @ 12:32
Umschichtungen im Budget sind bürgerfreundlicher als ein größeres Budget verbunden mit Steuererhöhungen für die Bürger. Das Agrarbudget könnte zum Beispiel gekürzt werden. Es gibt Länder (Beispiel: Neuseeland), die auch ohne kräftige Agrarsubventionen am Weltmarkt wettbewerbsfähig sind. Die EU sollte sich diesbezüglich etwas einfallen lassen.
GS
14. Juni 2017 @ 21:25
Deutschland profitiert doch nicht vom Britenrabatt nur weil das Budget insgesamt gekürzt wurde. Der Britenrabatt ist doch etwas anderes. Abgesehen haben D und UK ohnehin einen irrsinnig hohen Nettobeitrag.
Ich weiß nicht, ob ein Exit vom Brexit vollkommen ausgeschlossen ist. Immerhin lässt die EU sonst ja auch solange abstimmen bis es passt. Nur frage ich mich, ob Verhofstadt auf Drogen ist: “…einem Europa ohne Rabatte, ohne Komplexität, mit wirklicher Macht und mit Einigkeit.” –> Wo soll dieses “Europa” denn so plötzlich herkommen? Das wird’s weder mit noch ohne UK nicht geben.
ebo
14. Juni 2017 @ 21:57
@GS “Weniger bekannt ist, dass auch andere EU-Länder wie Deutschland einen Rabatt erhalten. Deutschland bekommt etwa einen Nachlass auf die Mehrkosten, die durch den Briten-Rabatt bestehen.” https://www.welt.de/vermischtes/article160307795/HINTERGRUND-Der-Briten-Rabatt-und-andere-Nachlaesse.html
Peter Nemschak
15. Juni 2017 @ 10:39
Erstaunlich, dass nicht noch andere Länder diesen Rabatt auf den Rabatt haben wollen.
GS
15. Juni 2017 @ 11:50
ebo, und inwiefern profitiert D vom Rabatt auf den Rabatt im Vergleich zur Situation ohne Rabatt?
ebo
15. Juni 2017 @ 11:53
Ist doch ganz einfach: UK bekommt einen Rabatt, muss also weniger zahlen. Dafür die zahlen die anderen mehr. DE hat sich einen Rabatt auf dieses “mehr” gesichert. Und gemeinsam mit UK hat man das EU-Budget gekürzt. – Der Clou: Neuerdings will Merkel der EU immer neue Aufgaben übertragen, doch das Geld reicht hinten und vorne nicht. Für die Türkei musste sie schon mit dem Klingelbeutel rumgehen 🙂
Peter Nemschak
14. Juni 2017 @ 13:47
Ein kritisches Korrektiv gegen dirigistische und etatistische Ambitionen wäre das liberale UK allemal. Von einer Balance der Kräfte könnte Deutschland durchaus profitieren. Ob man das will, ist Ansichtssache.
ebo
14. Juni 2017 @ 13:49
@Nemschak Wirklich? Die Briten haben sich klar gegen Austerität und Neoliberalismus à la Blair ausgesprochen. Oder wie sonst erklären sie den Erfolg von Corbyn?
Peter Nemschak
14. Juni 2017 @ 19:21
Ob Corbyn oder die Tories macht in dieser Frage keinen Unterschied. Im Grunde sind die Briten Individualisten. Außerdem ist Corbyn ist nicht ident mit GB. Möglicherweise hat er noch nicht verstanden, wie heterogen und instabil seine Wählerschaft ist und er mit alten Policies schnell wieder weg vom Fenster ist..In Sachen Bildung und Gesundheit hat GB tatsächlich Nachholbedarf. Das heißt noch lange nicht, dass der Staat sein Füllhorn über alles und jedes ausschütten muss.