“Die Überwachung im Internet geht weiter”

Die EU feiert das Digitale-Dienste-Gesetz als Meilenstein für die Regulierung des Internets. Dabei öffnet es Tür und Tor für neue Eingriffe, warnt der Datenschutz-Experte und Europaabgeordnete Patrick Breyer. Ein Interview.

(Teil zwei, Teil eins steht hier)

Das Geschäftsmodell der US-Konzerne beruht auch darauf, die User zu tracken, also auszuspähen. Wird die EU dem einen Riegel vorschieben?

Das Geschäftsmodell der Werbeplattformen beruht nicht nur darauf, möglichst viel Werbung anzuzeigen, sondern auch darauf, möglichst viel Werbung zu verkaufen. Und das wird gemacht, indem man den Anzeigenkunden über die Nutzer dieser Werbeplattform unheimlich viele Informationen und Datenpunkte liefert, über die Interessengebiete, über die Vorlieben, über die Schwächen der einzelnen Nutzer, über ihre Persönlichkeit. Das geht bis hin zur Gesundheit und zu sexuellen Präferenzen. Schwangerschaften kann man zum Beispiel auch ableiten aus solchen Daten. Das Geschäftsmodell des Überwachungskapitalismus beruht darauf, dass man quasi den Nutzer total überwacht und das zu Geld macht. Daran wird sich im Kern nichts ändern.

Immerhin soll das umstrittene Werbetracking bei Minderjährigen nun verboten werden …

Ja, das stimmt. Aber das Verbot gilt nur für Minderjährige, bei denen die Plattform weiß, dass sie minderjährig sind. Wenn Sie Google nutzen, weiß Google nicht, wie alt Sie sind. Bei Facebook wissen sie es, wenn Sie selbst angegeben haben, dass Sie minderjährig sind. Viele machen es aber nicht. Also ist es insofern ein sehr eingeschränktes Verbot, das an den meisten Nutzern vorbeigeht. Zum Schutz unserer Wahlen vor Manipulation wie im Fall Cambridge Analytica taugt ein Verbot, das nur für Minderjährige gilt, von vornherein nicht.

Und wie sieht es mit Volljährigen aus? Dort soll doch die Profilbildung aufgrund sensibler Daten wie politische oder sexuelle Präferenzen eingeschränkt werden?

Das Verbot der Verwendung sensibler Daten ist stark verwässert und weitgehend ausgehebelt worden. In vielen Fällen wird Überwachungswerbung – selbst anhand sensibler Personenmerkmale – keine Profilerstellung im Sinne des neuen Verbots darstellen und erlaubt bleiben. Und was Überwachungswerbung allgemein angeht, habe ich nicht mal mehr ein Recht darauf, das Tracking in meinem Browser generell abzulehnen. Der sogenannte Do-not-track-Mechanismus, für den wir gekämpft haben, steht nicht im Gesetz. Das heißt, das Einzige, was mir bleibt, ist, auf jeder Webseite auf die Einstellungen zu gehen und Cookies abzulehnen. Und das bei jeder Website und bei jedem Besuch, was völlig unzumutbar ist. Das zeigt: Das überwachungskapitalistische Geschäftsmodell bleibt im Kern intakt.

Trotzdem haben Sie für das DSA gestimmt. Also muss es ja auch Fortschritte geben?

Das Beste daran ist, dass die überzogenen nationalen Regelungen abgelöst werden, wie das deutsche NetzDG und ähnliche Gesetze in Frankreich und einigen Mitgliedsstaaten. Die Länder haben versucht, im Alleingang exzessive Löschfristen wie zum Beispiel 24 Stunden festzuschreiben. Sie wollten sozusagen die Plattformen zum Richter machen und das auch noch innerhalb einer Zeit, die eine sorgfältige Prüfung kaum zulässt. Das ist im DSA besser gelöst. Das wird künftig verhältnismäßiger und einheitlicher umgesetzt werden. Deswegen ist das eine gewisse Verbesserung gegenüber dem Status quo. Außerdem haben wir einiges verhindert, was ansonsten noch schlimmer geworden wäre. Es wird keine Zensur von Suchmaschinen geben, keine Unterbrechung von Livestreams durch die Industrie und auch keine Identifizierungspflicht für Sexarbeiter. Aber das ist nur Schadensbegrenzung. Von den positiven Ansätzen des Europaparlaments ist fast nichts übrig geblieben.

Gibt es gar nichts, worauf sich die User freuen dürfen?

Doch. Beim DMA, dem Marktkon­trollgesetz, ist uns ein großer Erfolg gelungen. Wir haben die sogenannte Inter­operabilität bei den Messenger-Diensten durchgesetzt. Damit wird eine echte Wahlmöglichkeit geschaffen. Sie können künftig zum Beispiel mit Whatsapp-Nutzern auch über andere Messenger kommunizieren – und umgekehrt. Das wird den Markt verändern. Ich hoffe, dass sich dann die Messenger mit dem besten Datenschutz durchsetzen.

Dieses Interview erschien zuerst in der “taz”. Der Originaltext ist hier