Bergkarabach und die Doppelmoral der EU
Wenn es um die Ukraine geht, legt die EU größten Eifer an den Tag, Kriegsverbrechen anzuprangern und zu bestrafen. In anderen Ländern hält man sich zurück – wie sich aktuell in Aserbaidschan und Armenien zeigt.
Aserbaidschan blockiert seit Dezember die Region Bergkarabach, Armenier sind von der Versorgung abgeschnitten und sprechen von einem langsamen Genozid. Dies berichtete die “Zeit” am 13. August.
Kurz danach kam die Meldung, dass EU-Beobachter in der Region unter Beschuss geraten sind. Das armenische Verteidigungsministerium warf Aserbaidschan vor, das Feuer auf ein Patrouillen-Fahrzeug der Europäer eröffnet zu haben.
Normalerweise lässt die EU sowas nicht durchgehen. Doch aus Brüssel kommt – nichts. Weder Kommissionschefin von der Leyen noch ihr Chefdiplomat Borrell hielten es für nötig, sich zu dem ernsten Vorfall zu äußern.
Die EU-Mission in Armenien (EUMA) schrieb lediglich, dass “eine EUMA-Patrouille bei dem Schießerei-Vorfall in unserem Verantwortungsbereich anwesend war”. Es sei keiner der Mitarbeiter verletzt worden. Wer verantwortlich war, wurde nicht gesagt.
Kein Wort der Kritik
Offenbar wollen die EUropäer alles vermeiden, was wie Kritik an Aserbaidschan aussieht. Denn Präsident Aliyew gilt als strategisch wichtiger Partner, der gebraucht wird, um die fehlenden Gaslieferungen aus Russland zu ersetzen.
“Die EU wendet sich zuverlässigeren Energielieferanten zu”, sagte von der Leyen während eines Besuchs in der Kaukasusrepublik im Juli 2022. Seither kam ihr kein Wort der Kritik über die Lippen. Auch andere führende EU-Politiker schweigen.
Umso lieber reden sie über echte oder vermeintliche Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine. Könnte es sein, dass die EU da verschiedene Standards anlegt – moralische Empörung auf der einen, knallharte Realpolitik auf der anderen Seite?
Any comment, @JosepBorrellF? https://t.co/YdNIbFHqiO
— Eric B. (@LostinEU) August 15, 2023
P.S. In einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats hat die EU immerhin das Ende der Blockade gefordert. Doch zum Vorfall bei der EUMA-Patrouille druckst sie weiter herum, ohne Aserbaidschan zu nennen: “The EU Monitoring Mission in Armenia (EUMA) is conducting patrols along the Armenian side of the international border with Azerbaijan to observe and report on the situation. The objective of the mission is to contribute to conflict resolution and build confidence between Armenia and Azerbaijan. We call on all sides to avoid further incidents and return to dialogue.”
Monika
18. August 2023 @ 12:24
@ KK
sie haben aber schon bis zum Ende gelesen und mitbekommen, dass wir am gleichen Strick ziehen?
Katla
17. August 2023 @ 17:06
„eine EUMA-Patrouille bei dem Schießerei-Vorfall in unserem Verantwortungsbereich anwesend war“
Nicht nur Doppelmoral, auch noch schräger Doublespeak: “bei einem Schießerei-Vorfall anwesend zu sein” – damit könnte man dann prinzipiell die Situation auch an der Front in der Ukraine beschreiben. Da passiert ja auch nichts weiter, als dass dort auch nur Leute bei Schiesserei-Vorfällen irgendwie anwesend sind… Alles ganz harmlos demnach?
ebo
17. August 2023 @ 17:09
Gut beobachtet!
KK
17. August 2023 @ 14:28
Vor allem anderen ist Präsident Aliyew erwiesenermassen sehr freigiebig mit “Geschenken”… insbesondere auch an Mitglieder von Partei (CDU/CSU) und Fraktion (EVP) der EUCO-Präsidentin.
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@ Armin Christ:
Ja, Luisa Neubauer hat den Nagel auf den Kopf getroffen – findet das aber erschreckenderweise auch noch völlig in Ordnung!
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@ Monika:
“Moral hat in der Politik nichts zu suchen. Nur Interessen zählen, egal was Geschichtslehrer und Politiker euch erzählen mögen…”
Wenn Interessen für die EUropäer wirklich zählen würden, wäre inzwischen etwas an dem Sanktionsregime, das EUropa mehr schadet als Russland, geändert worden. Es geht aber längst nicht mehr um EUropäische Interessen, sondern ausschliesslich um US-amerikanische! Die USA haben nämlich kein Problem damit, einzelne Sanktionen zu unterlaufen oder gar Profit daraus zu ziehen (zB extrem steigende Weltmarktpreise für ihre fossilen Energien wie Frackinggas oder Öl).
european
17. August 2023 @ 10:46
Eine Podcastempfehlung:
Am 19. August jaehrt sich der Sturz Mossadegh’s durch die CIA zum 70. Mal. Ein Coup, der nicht einmalig bleiben sollte, sondern der als Muster fuer viele weitere Coups weltweit diente und weiterhin dient. Chris Hedges hat dazu aktuell ein sehr interessantes Interview auf seinem substack account veroeffentlicht. Der iranische Regisseur und Filmemacher Taghi Amirani hat dazu die Dokumentation “Coup 53” gedreht, die bisher unveroeffentlichtes Material, insbesondere ueber den Job der damals neu gegruendeten CIA, die Funktion von Norman Darbyshire, den “Kauf des Mobs”, und nicht zuletzt “how they bought the media”.,..(Aehnlichkeiten mit aktuellen Aktionen und Ereignissen sind nicht zufaellig)
Der Sturz des demokratisch gewaehlten Mossadegh’s war der Suendenfall des Westens, denn dieser Coup diente als Blaupause fuer unzaehlige weitere Coups weltweit: “The list of CIA orchestrated coups that installed compliant right-wing dictatorships includes not only Iran but Guatemala, Indonesia, South Vietnam, the Congo, the Dominican Republic, Iraq, Indonesia, Cambodia, Chile, Bolivia, Ethiopia, Angola, East Timor, Argentina and Afghanistan. Hundreds of million people suffered because of U.S. interference the loss of their freedom, impoverishment and repression because of these interventions.”
Insgesamt ein sehr hoerenswertes Interview und ganz bestimmt auch eine sehenswerte Doku, insbesondere wenn man bedenkt, wie sehr sie auch nach so vielen Jahren bekaempft wird und wie sehr Mossadegh bis heute auch ein Vorbild fuer die iranische Jugend ist.
https://chrishedges.substack.com/p/the-chris-hedges-report-pocast-with#details
Was hat das mit der Doppelmoral der EU zu tun? Nun…
Monika
17. August 2023 @ 10:18
Moral hat in der Politik nichts zu suchen. Nur Interessen zählen, egal was Geschichtslehrer und Politiker euch erzählen mögen…wusste so oder ähnlich Egon Bahr schon allen Interessierten mit auf den Weg zu geben.
Was an Hand dieses schönen Beispiels wieder einmal augenfällig bewiesen wird.
Fehlt jetzt nur noch das allbekannte Gejammer wenns noch schlimmer kommt “Davon haben wir nicht wissen können, wer konnte denn ahnen, dass diese … wer auch immer … so undankbare Partner sein würden.
Aber “der Russe” (der seine verlässlichste Vertragserfüllung stets bewiesen hat) bekommt seine “Unzuverlässlichkeit von Frau vdL um die Ohren geschlagen:
„Die EU wendet sich zuverlässigeren Energielieferanten zu“.
Wenn die EU wenigstens ihre eigenen Interressen vertreten und nicht verraten würde… Sorry, haben wir verwechselt beide Wörter fangen mit ver- an, da kann das schon mal passieren, wir werden uns viel zu verzeihen haben in Zukunft…
Thomas Damrau
17. August 2023 @ 09:44
Das Verhalten gegenüber Autokraten können wir inzwischen als Entscheidungsmatrix formulieren: Man nehme eine 2-dimensionale Matrix:
– Dimension 1: ist strategisch wichtig
– Dimension 2: ist kooperationswillig
Falls (wichtig + kooperationswillig) Aserbaidschan, Türkei, Saudi-Arabien, Ägypten, Katar, …
-> beide Augen zudrücken
Falls (unwichtig + kooperationswillig) Kuweit, Haiti, Jordanien, …
-> wenn man mal nix Besseres zu tun hat, mal empört sein
Falls (wichtig + nicht kooperationswillig) China, Iran, Russland, …
-> Folterwerkzeuge auspacken
Falls (unwichtig + nicht kooperationswillig) viele Autokratien im Globalen Süden
-> bei Gelegenheit unauffällig einen Regierungswechsel herbeiführen
Der Demokratie-Index des Economist listet
– 23 vollständige Demokratien,
– 49 unvollständige Demokratien (davon 15 EU-Mitgliedsstaaten),
– 36 Hybridregime (darunter diverse EU-Beitrittskandidaten)
– 58 lupenreine autoritäre Regime
( https://www.laenderdaten.de/indizes/demokratieindex.aspx ).
Bei solch einem Angebot kann man offensichtlich nicht wählerisch sein.
Armin Christ
17. August 2023 @ 08:25
„Lieber Doppelmoral als gar keine Moral“ sagte Luisa Neubauer.
european
17. August 2023 @ 07:12
Ich habe keine Hoffnung, dass sich an der Politik der EU irgendetwas ändert.