Die Wende, die keine sein darf
Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit, hat die EU-Kommission eine Wende in der Fiskalpolitik vollzogen. Sie hat sich nicht nur zum “europäischen Finanzministerium” erklärt. Nein, es geht um mehr, viel mehr.
[dropcap]D[/dropcap]ie Kommission hat nämlich auch eine Abkehr vom bisherigen Austeritätskurs gefordert und die Mitgliedstaaten aufgefordert, rund 0,5 Prozentpunkte des BIP mehr auszugeben als bisher geplant.
Durch diesen neuen Stimulus sollen Investitionen und Wachstum gefördert werden, hofft Währungskommissar Moscovici (sein Vorschlag steht hier).
Angesichts der weltwirtschaftlichen Risiken – Brexit, Trump – wäre es ein wichtiges, willkommenes Signal. Aber ist das auch realistisch?
Nein, sagen Finanzminister Schäuble und der griechische Ex-Finanzminister Varoufakis im Chor.
Schäuble streitet Moscovici das Recht ab, einen expansiveren Kurs in der Budgetpolitik zu fordern. Und Varoufakis höhnt, die EU-Kommission sei irrelevant, da die Entscheidungen ohnehin in der Eurogruppe fielen.
Man reibt sich erstaunt die Augen – denn plötzlich sind sich Schäuble und Varoufakis einmal einig?
Nicht ganz. Beide lehnen zwar den Vorstoß aus Brüssel ab.
Doch während Schäuble auf seinem autoritären Sparkurs beharrt und sogar Beschwerde in Brüssel einlegt, fordert Varoufakis einen viel größeren Stimulus in Höhe von fünf Prozent des BIP.
Bleibt die Frage, ob Schäube noch zählt
Außerdem verweist der griechische Pop-Ökonom darauf, dass Schäuble ohnehin zu allem Nein sagen werde. Womit er – leider – recht hat. Bleibt die Frage, ob Schäuble noch zählt – oder auch langsam irrelevant wird.
Nachdem Merkel erneut Kanzlerin werden will, liegt die Vermutung nahe, dass der CDU-Hardliner nun endgültig zum Auslaufmodell wird. Sein Staatssekretär Spahn läuft sich schon warm.
Leider ist Spahn, was die Fiskalpolitik betrifft, genauso ein Hardliner wie Schäuble. Am deutschen Nein zum Stimulus aus Brüssel dürfte sich also nichts ändern, an der Austerität (vorerst) auch nichts…
bluecrystal7
22. November 2016 @ 22:10
Tja, etwas anderes hab ich gar nicht erwartet, denn Schäuble ist doch nicht umsonst bekannt als Mister Schwarze Null, bzw. als haushaltspolitischer Hardliner…
Ein Europäer
21. November 2016 @ 20:44
Die EU-Kommission braucht eine out of the Box Vorgehens-, und Denkweise. Der EU-Binnenmarkt ist da nur für die Sachgüterproduzenten, oder für diejenigen die sich auf industrieller Basis auf die Produktion spezialisiert haben. Die Dienstleistern und Länder die sich auf Dienstleistungen spezialisiert haben haben das Nachsehen.
Der EU-Markt muss endlich lieberalisiert werden, dann hat der Euroraum und die EU eine gute Chance sich zu erholen.
GS
21. November 2016 @ 20:25
Gerade gestern las ich auf dem Onlineportal einer großen Zeitung (weiß aber nicht mehr genau, welches es war) einen Artikel, in dem erklärt wurde, dass Merkel mit Spahn überhaupt nicht kann und er seinem Job allein Schäuble zu verdanken habe. Ich glaube nicht, dass Merkel Schäuble jetzt absägt. Mir scheint es, als sei Schäuble einer der ganz wenigen, der in der CDU neben Merkel über so etwas wie eine Hausmacht verfügt. Meine Prognose: Die werden eines Tages zusammen verschwinden, vielleicht ja sogar vor Ende der nächsten Legislaturperiode.
Herbert Hensler
22. November 2016 @ 15:08
schäubles Hausmacht ist der Koffer und sein Wissen darüber.
Beate
21. November 2016 @ 19:19
Proeuropaer müssen doch froh sein dass Trump gewählt wurde.
Er hat versprochen gegen die Importdefizite Chinas und Europas vorzugehen.
Merkel wird dann Schäuble in den Ruhestand versetzen.
Die Macht Schäubles und Merkels, die auf der Niedriglohnversklavung des eigenen Volkes beruhte, ist im Niedergang begriffen.
Keine Wirtschaft kann auf Dauer ohne die Kaufkraft einer breiten Mittelschicht prosperieren.
emma
21. November 2016 @ 12:21
gerade die Autobahnen hat der Steuerzahler bereits x-fach finanziert….wenn man diese nun abgibt, soll man konsequent auf KFZ- und Mineralölsteuer verzichten….aber nein: es wird wieder einer ausgewählten clique ein lukratives Geschäft zugeschoben
Peter Nemschak
21. November 2016 @ 08:34
Antiaustertätspolitik ohne Reformen funktioniert ebenso wenig wie Austeritätspolitik ohne Reformen. In den USA hat erstere, wie man gesehen hat, nicht funktioniert, in Europa wird zweitere keine Wende bewirken. Es braucht Verhaltensänderungen bei allen Akteuren, Produzenten und Konsumenten, was naturgemäß schmerzhaft ist. Wer leugnet, dass Verhaltensänderungen der Wirtschaftssubjekte ohne den Druck des leeren Sacks bewirkt werden können, ist weltfremd. Das kann man deutlich am hinhaltenden Widerstand mancher griechischer Politiker gegen Reformen beobachten. Hohe Staatsausgaben, so sinnvoll öffentliche Investitionen auch sein mögen, wecken stets neue durchaus verzichtbare Begehrlichkeiten. Hinter der mehrheitlichen Ablehnung der Privatisierung der deutschen Autobahnen, um ein weiteres Beispiel zu nennen, steckt in Wahrheit die Weigerung der Bürger benutzungsabhängige und transparente Entgelte zu bezahlen. Zahlt der Staat aus dem allgemeinen Budget, denken viele, dass jeweils der andere für sie zahlt.