AstraZeneca wehrt sich, Portugal ruft um Hilfe – und der Rat plant geheime Videocalls

Die Watchlist EUropa vom 28. Januar 2021 –

Das Impfstoff-Debakel hat eine neue Wendung genommen – und sich zum Kommunikations-Debakel ausgeweitet. Die EU-Kommission steht mit dem Rücken zur Wand – und versucht, den Schwarzen Peter an AstraZeneca weiterzugeben.

Gesundheitskommissarin Kyriakides appellierte am Mittwoch in einer eilig einberufenen Pressekonferenz an die moralische Verantwortung. Jeden Tag stürben viele Menschen an Corona, deshalb müsse AstraZeneca die zugesagten Impfstoffdosen liefern.

Doch der britisch-schwedische Konzern wehrt sich. Die EU habe ihren Vertrag später abgeschlossen als Großbritannien, sagte Konzern-Chef Chef Soriot der „Welt“. Deshalb sei die Produktion auch später angelaufen.

In der EU werde der Impfstoff in Belgien und den Niederlanden produziert. Und ausgerechnet dort sei in einer Anlage der Ertrag sehr niedrig. Die EU-Kommission dürfte Mühe haben, das zu widerlegen.

Zudem sagte Soriot, sein Unternehmen sei vertraglich nicht zur Lieferung bestimmter Mengen verpflichtet. Vielmehr habe man nur einen „best effort“ zugesagt, sich also nach Kräften zu bemühen.

Kyriakides bestreitet das. AstraZeneca habe sich verpflichtet, schon vor der Zulassung durch die EU mit der Produktion des Impfstoffs zu beginnen. Wer Recht hat, ist nicht zu klären – denn der Vertrag wird geheim gehalten.

Immer neue Widersprüche

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Die Argumentation von Soriot klingt auf jeden Fall überzeugender. Welches Unternehmen beginnt denn schon mit der Produktion von Produkten für eine Region, für die nicht einmal eine Marktzulassung vorliegt?

Und Kyriakides verwickelt sich in Widersprüche. Welchen Wert hat die Prüfung durch die Arzneimittelbehörde EMA, wenn die EU den Impfstoff auf jeden Fall haben will – und sich darauf schon vor der Prüfung festlegt?

Brüssel entwertet so entweder das Urteil der EMA, die am Freitag über die Zulassung entscheiden will – oder man entwertet die Produktion von AstraZenica, die bei einer Nicht-Zulassung in den Müll gekippt werden könnte.

Die Kommission weicht aus

Zudem weicht die EU-Kommission immer wieder aus. Ein Export-Verbot sei nicht geplant, so Kyriakides. Warum dann der Vorstoß zur Überprüfung und Genehmigung von AstraZeneca-Produkten?

Man wolle auch nicht die Impfstoffe aus UK in die EU umleiten, heißt es in Brüssel. Ja, was will man denn dann? Dass AstraZeneca zaubert – und die Probleme in den europäischen Werken über Nacht behebt?

Fragen über Fragen – die EU-Kommission bleibt eine Antwort schuldig. Wenn das so weiter geht, schlägt das kommunikative Debakel bald in eine Vertrauenskrise in die EU um. Es wäre nicht das erste Mal…

Siehe auch „Hilflos gegen Big Pharma“ und „Brüssel knöpft sich AstraZeneca vor

P.S. Wegen des Mangels an Vakzinen (und Hoffnung) hat Spanien die Corona-Impfung für zwei Wochen ausgesetzt. Und das bei wieder steigenden Opferzahlen…

Watchlist

Die Lage ist dramatisch: Wegen weiter ansteigender Infektions- und Todeszahlen hat Portugal um Hilfe gerufen. Ausgerechnet das Land, das so gut durch die erste Welle der Corona-Pandemie kam und das derzeit den EU-Vorsitz innehat, wird der Krise nicht mehr Herr. Die Bundeswehr hat nun ein medizinisches Erkundungsteam geschickt. Portugal war in den vergangenen sieben Tagen das Land mit den meisten Neuansteckungen und Todesfällen per eine Million Einwohner – und zwar weltweit!

Hotlist

  • Die EU hat eine wichtige Hürde auf dem Weg zu einem verbindlichen Lieferketten-Gesetz genommen. Der Rechtsausschuss des Europaparlaments nahm am Mittwoch einen Initiativbericht an, der strikte Sorgfaltspflichten für Unternehmen fordert. In meinem Bericht für die taz wird deutlich, dass damit auch die deutsche Bundesregierung unter Druck gerät. Sie sträubt sich bisher gegen verpflichtende Auflagen für Unternehmen…
  • Bereits heute ist jeder fünfte EU-Einwohner über 65 Jahre alt, 2070 wird es laut EU-Kommission fast jeder Dritte sein. Vor diesem Hintergrund hat die Behörde eine Konsultation zum Altern und zur Förderung von Solidarität und Verantwortung zwischen den Generationen gestartet, berichtet epd. Auf Nachfragen, was das für die Höhe der Rente und das Eintrittsalter bedeutet, antwortete die Behörde ausweichend. Dabei ist klar, dass Brüssel ein späteres Rentenalter fordert!
  • Der Rat der Europäischen Union möchte ein eigenes Videokonferenzsystem für Besprechungen mit sensiblen Inhalten einrichten. Über das neue System dürfen dann erstmals Inhalte der Sicherheitssstufe „SECRET“ behandelt werden, berichtet „Netzpolitik„. Bisher gab es immer wieder peinliche Pannen. Im Dezember konnte sich ein Journalist sogar in eine vertrauliche Sitzung der Verteidigungsminister einloggen. Die geheime Strategie zur Aufrüstung der EU wurde allerdings nicht enthüllt…