Ampel ohne Ambition für EUropa
Was bleibt von der Europapolitik der vergangenen Woche? Die Ampelkoalition nimmt Gestalt an – doch sie hat keine Ambition für EUropa. Die Kanzlerin ist auf Abschiedsreise in Ankara – sie macht Appeasement bis zuletzt. Und dann war da noch der Katzenjammer der Konservativen.
Die Ampel steht auf Grün, doch die Ampelkoalition blinkt Gelb. Was SPD, Grüne und FDP am Freitag in ihrem Sondierungspapier vorgelegt haben, trägt in vielen zentralen Fragen die Handschrift der Liberalen.
Kein Tempolimit, keine Vermögenssteuer, keine Umverteilung zugunsten der Armen, keine Aufweichung der Schuldenbremse und keine Reform des Stabilitätspakts – Finanzminister in spe Lindner lässt grüßen.
Das kommt dabei heraus, wenn man sich erst auf Gespräche mit der FDP einlässt, statt mit der SPD, liebe Grüne! Baerbock und Habeck wollten ein “progressives” Bündnis – und bekommen “progressiven” Neoliberalismus.
Die nächsten Jahre sind entscheidend, um Deutschland und Europa zu stärken – für die großen Herausforderungen wie den Klimawandel, die Digitalisierung, die Sicherung unseres Wohlstands, den sozialen Zusammenhalt und den demografischen Wandel.
Sondierungspapier
Im Gegenzug könnte Baerbock – “ich komme vom Völkerrecht” – Außenministerin werden. Das Europa-Kapitel des Sondierungspapiers klingt jedenfalls so, als wolle sie sich schon mal bei den USA, in Israel und bei der Nato empfehlen.
Neue Ambitionen oder gar Visionen für die EU sucht man dagegen vergebens. Die Ampel bekennt sich zu EU-Zielen wie dem Ende des Verbrennermotors oder “Fit for 55”, setzt aber keine eigenen Akzente.
Erstaunlich ist, dass alle wichtigen aktuellen Europa-Themen ausgespart wurden. Kein Wort zu Polen und zum Streit um das EU-Recht, nichts zur Energiekrise, nichts Konkretes zur “strategischen Autonomie” von China und den USA.
Wir werden die Europäische Union (EU) stärken, um unserer Verantwortung zu entsprechen. Unsere Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik werden wir wertebasiert und europäischer aufstellen. Die strategische Souveränität Europas wollen wir erhöhen.
Sondierungspapier
Europapolitisch läuft es auf ein bequemes “weiter so” hinaus – weshalb es Kanzlerin Merkel auch leicht fiel, das Sondierungsergebnis zu begrüßen und vor überstürzten Sanktionen gegen Polen zu warnen.
Sie setzt ihre fatale Politik des Appeasements bis zuletzt fort – auch gegenüber der Türkei. Kurz vor ihrem womöglich letzten EU-Gipfel besuchte sie Sultan Erdogan in Ankara – und kündigte weitere Hilfen an.
Merkel betonte, dass die Unterstützung der Türkei in der Flüchtlingsfrage “über das bereits Beschlossene hinaus” gewährleistet sein müsse. Im Klartext: Deutschland und die EU sollen weiter zahlen.
War sonst noch was? Ach ja, Großbritannien rüttelt mal wieder am Brexit-Vertrag – und bei den Konservativen bricht nach der Wahlniederlage von CDU/CSU und dem Sturz von Kanzler Kurz in Österreich der Katzenjammer aus.
Die EVP stellt nur noch neun von 27 Staats- und Regierungschefs der EU und kann damit nicht mehr wie gewohnt den Ton in Brüssel angeben. Schade, dass auch von der Ampel keine neuen Impulse ausgehen…
Siehe auch “EUropa steht an letzter Stelle”. Und hier noch die besten Blogposts der Woche:
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european
18. Oktober 2021 @ 15:23
Gut ist schon mal, dass Deutschland recht bald eine Regierung bekommen wird.
Man wird nun sehen müssen, wie die Koalitionsverhandlungen ausgehen und was letztlich vertraglich vereinbart wird. Völlig unverständlich ist, dass es kein Tempolimit geben wird. Alle Länder um uns herum haben ein Tempolimit, teilweise sogar nach Uhrzeiten gestaffelt, so z.b. die Niederländer. Es wäre der einfachste Weg gewesen, nicht nur CO2 zu reduzieren, sondern auch noch die Zahl der Verkehrsunfälle, Unfalltoten und -verletzten.
Der Anspruch Lindner’s auf das Finanzministerium sollte Kopfzerbrechen bereiten. Wenn man seine bisherigen Äußerungen zum Thema ernst nimmt, dann liegen seine Stärken offensichtlich nicht im Finanzwesen. Wir können auch in Europa nicht nochmal jemanden gebrauchen, der Austerität und Defizitverfahren fordert und zudem noch ständig auf den Südländern herumhackt. Insbesondere die Italiener würde er doch gar zu gern zu “ordentlichen Haushältern” erziehen. Solche Leute gibt es auch in der CDU, z.B. Linnemann, aber die haben glücklicherweise aktuell nicht so viel zu sagen.
Lesenswert dazu dieser Artikel auf Makroskop.
https://makroskop.eu/37-2021/wer-kanalisiert-die-wut/
Derweil rüsten sich in Griechenland die Faschisten
https://www.griechenland.net/nachrichten/politik/30005-angst-vor-faschistischer-wiedergeburt-in-griechenland
Man wird es sehen. Scholz hatte mit dem Wiederaufbaufonds gute europäische Politik auf den Weg gebracht. Hoffen wir, dass man auf diesem Weg weitergeht. Sollte Macron wiedergewählt werden, könnte einiges gelingen.
El Zorro
17. Oktober 2021 @ 11:32
Die Ampel steht z. Zt. auf Gelb. Ich sehe Schwarz für Deutschland, wenn alle Lichtlein brennen. Eine Fehlschaltung, die den Baerbock zum Gärtner machen würde.
ebo
17. Oktober 2021 @ 13:28
Wohl eher den Lindner – bei einer gelben Ampel 🙂
El Zorro
17. Oktober 2021 @ 16:38
Macht Lindner in Finanzen-, tritt die schrille Baerbock in die Fußstapfen eines Joschka Fischers. Mir wird ganz übel bei dem Gedanken.