Alles muss raus
In den letzten Tagen ihrer Amtszeit winkt die alte EU-Kommission noch schnell ein paar umstrittene Projekte durch. Keiner protestiert – die Europaabgeordneten sind ja mit Junckers Team vollauf beschäftigt.
Barroso I war schlecht, Barroso II noch schlechter. Die Bilanz der scheidenden Kommission fällt katastrophal aus. Zugute halten kann sie sich nur, dass EU und Euro wider Erwarten doch nicht zerbrochen sind.
Doch ansonsten: Krisen, wohin man schaut. „Die Krisen-Macher“ habe ich die EU-Entscheider der Ära Barroso in diesem Blog getauft – denn der Kurs der letzten Jahre hat Europa ins Taumeln gebracht.
Immerhin wurde die schlechte Politik noch mit dem Mäntelchen des Politisch Korrekten verbrämt. Man setze sich für Frieden, Wohlstands, Jobs, Wachstum und natürlich für die Umwelt ein, so der Brüsseler Spin.
Damit ist es nun wohl auch vorbei. In den letzten Amtstagen blasen die scheidenden Kommissare noch all jene Pläne und Projekte raus, die bisher wohl an moralischen Bedenken gescheitert waren.
Hier drei Beispiele aus der letzten Woche:
- Ölsand: Die EU-Kommission will aus Teersand gewonnenes Öl mit anderen Brennstoffen gleichsetzen – obwohl die Klimabilanz schlechter ist. Diese Kehrtwende nutzt vor allem Kanada – offenbar war das ein Preis für das umstrittene Freihandelsabkommen CETA.
- Kernkraft: Brüssel genehmigt Großbritannien milliardenschwere Beihilfen für das umstrittene Atomkraftwerk Hinkley Point. Der Bau des Atomkraftwerks wäre der erste AKW-Neubau in Europa drei Jahre nach Fukushima. Österreich will das nicht hinnehmen und reicht Klage ein.
- Finanzmärkte: Angeblich, um die Kreditvergabe in Schwung zu bringen, lockert die Kommission die Vorschriften für ABS. Sie setzt sich damit über internationale Standards hinweg und fördert genau jene Giftpapiere, die in der Finanzkrise eine Kettenreaktion auslösten.
Vor oder kurz nach der Europawahl hätte es einen lauten Aufschrei des Protestes gegeben. Doch nun halten fast alle MEPs still. Sie haben vermeintlich Wichtigeres zu tun: Es gilt, die neue Juncker-Kommission durchzubringen.
Zu dumm nur, dass darin mit dem Briten Hill und dem Spanier Canete zwei Politiker sitzen, die die „Ausrutscher“ der alten Kommission voll und ganz unterschreiben können. Sie sind für Finanzen und Energie/Klima zuständig…
Siehe auch „Fehlstart mit den Falschen“ und meine aktuelle Umfrage
Eric
16. Oktober 2014 @ 16:40
Also… sind diese Gesetzvorschläge jetzt vom Europaparlament gebilligt worden, oder muss die Abstimmung noch stattfinden? Das war mir nicht ganz klar.
ebo
16. Oktober 2014 @ 16:52
Das muss noch durchs Parlament. Derzeit ist nur Schlussverkauf in der scheidenden Barroso-Kommission…
Baer
14. Oktober 2014 @ 10:41
Solche Akteure gehören in den Knast bei 1,27€ pro Tag Entlohnung.
Wo ist eigentlich der europäische Gerichtshof wenn es um Kapitalverbrechen geht? Von Hochverrat will ich nicht sprechen.
So langsam reicht es!!! Merkt den keiner worauf das ganze zuläuft. Amerikanische Wildwestpraktiken von der Politik bis zur Wirtschaft.( TTIP etc.).
Was man nicht über Produktinnovationen und Kreativität schafft, das schafft man eben über Aushebelung von Gesetzen und Lobbyismus. Korrupte Politiker gibt es ja ohne Ende.
Von Planwirtschaft (Protektionismus) wird keine Volkswirtschaft gesund ,das hat die Vergangenheit eindrucksvoll gezeigt.
Peter Nemschak
14. Oktober 2014 @ 10:29
ad Finanzmärkte: ABS sollte man nicht generell verteufeln. Wie bei vielen Dingen stehen Gebrauch und Missbrauch eng nebeneinander. Für die EZB sind sie ein Schritt in Richtung Staatsfinanzierung und daher werden daher von der Bundesbank mit Argwohn betrachtet. All zu viel zur Konjunkturbelebung werden sie nicht beitragen. Zukunftsoptimismus können auch sie nicht herbeizaubern.
ebo
14. Oktober 2014 @ 11:24
Da haben Sie recht. Doch gleichzeitig hat die Volatilität an den Märkten wieder das Niveau der Eurokrise angenommen. ABS erscheinen vor diesem Hintergrund als nicht als (Not-)Lösung, sondern erneut als Brandbeschleuniger…
Peter Nemschak
14. Oktober 2014 @ 12:06
Sie meinen wahrscheinlich CDS (Credit Default Swaps), mit denen man auf Kursverfall spekulieren kann. Ein auf einem breit gestreuten Bündel von privaten Hypotheken aufbauender RMBS war, so ferne die Hypothekarkredite kreditwirtschaftlich solide beurteilt wurden, nie ein Problem, weder in den USA noch in Europa. Im Falle von Subprime wurden Kredite verpackt, die auf Grund mangelnder Bonität der Kreditnehmer nie hätten ausgereicht werden dürfen. Die absurde Idee dahinter war, dass ewig steigende Hauspreise die Kredite zurückzahlen würden. Noch absurder die Idee, dass die Hauspreise ewig steigen würden – entgegen sämtlich historischer Erfahrung. Am absurdesten aber, dass diese Vorstellung von den sogenannten Experten und Verantwortlichen der Geldpolitik lange geteilt wurde. Greenspan und Kollegen hätten es wissen müssen, wenn sie je in ihrem Leben Hpothekarkredite verkauft hätten. Sie sind wohl nie einem Kreditnehmer aus Fleisch und Blut begegnet. Auch die Ratingagenturen haben sich mit ihren Rechenmodellen nie darum gekümmert, wie die Kredite zustande kommen, am allerwenigsten die Investoren in Europa, wo ein großer Teil des Drecks gelandet ist. So gab eines das andere….
Tim
14. Oktober 2014 @ 14:36
@ Peter Nemschak
Ich stimme vollkommen zu, nur zwei ergänzende Anmerkungen:
Sie meinen wahrscheinlich CDS (Credit Default Swaps), mit denen man auf Kursverfall spekulieren kann
Ja, aber die andere Seite spekuliert ja eben nicht auf Kursverfall. Wie bei allen Spekulationen setzt die eine Seite auf Anstieg, die andere auf Verfall. In der breiten CDS-Diskussion scheinen die Leute meist zu meinen, es gäbe nur Spekulation in eine Richtung. 🙂
Im Falle von Subprime wurden Kredite verpackt, die auf Grund mangelnder Bonität der Kreditnehmer nie hätten ausgereicht werden dürfen.
Rechtlich waren diese Kredite vollkommen legal. Das war ja gerade die Ursache der Krise: Immobilien konnten mit bis zu 125 % ihres Wertes beliehen werden, wenn ich mich richtig erinnere.