Alles für die Ukraine, wenig für die EU-Bürger – und Machtwechsel in Schweden

Die Watchlist EUropa vom 15. September 2022 –

Eine große Rede zur „Lage der Europäischen Union“ hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt. Um die Energiekrise und die Ängste der Menschen in diesem Kriegs-Herbst sollte es gehen, viele Hoffnungen waren mit ihrem Auftritt im Europaparlament verbunden.

Doch dann drehte sich erstmal alles um die Ukraine. In der ersten Reihe saß Olena Selenska, die First Lady aus Kiew, sie war eigens nach Straßburg gereist. Dann kam von der Leyen: Sie war demonstrativ in den ukrainischen Landesfarben gekleidet, gelber Blazer auf blauer Bluse. Blau und gelb ist dann auch ihre Rede.

„Nie zuvor wurde in diesem Haus über die Lage unserer Union debattiert, während auf europäischem Boden Krieg herrscht“, setzt die CDU-Politikerin an. „Slava Ukraini“ – Ruhm der Ukraine – ruft sie an einer zentralen Stelle aus. Nicht weniger als 28mal wird von der Leyen an diesem Tag die Ukraine ansprechen, sie ist Dreh- und Angelpunkt ihres 57-minütigen Vortrags.

Im Osten nichts Neues

Doch wer große Neuigkeiten erwartet hatte, wird enttäuscht. Die Ukrainer sollen bald keine Roaming-Gebühren fürs Handy mehr bezahlen und besseren Zugang zum Binnenmarkt erhalten, das war’s. Ansonsten: Im Osten nichts Neues.

Keine neuen Waffen, keine weiteren Sanktionen, auch keine diplomatische Initiative, die angesichts des ukrainischen Vormarschs endlich denkbar wäre. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setzt auf eine Verhandlungslösung, von der Leyen offenbar nicht.

“Das ist die Zeit für uns, Entschlossenheit zu demonstrieren und kein Appeasement”, betont die ehemalige Verteidigungsministerin. Europa habe seit dem ersten Tag an der Seite der Ukraine gestanden und werde dies auch weiter tun. “Putin wird scheitern, die Ukraine und Europa werden sich durchsetzen“.

Putin ist schuld, wie immer

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Der Beifall ist mäßig. Er wird auch nicht größer, als sich von der Leyen endlich den Themen zuwendet, die den Menschen in der EU auf den Nägel brennen. Werden wir heil durch Herbst und Winter kommen, wie sollen wir die Strom- und Gasrechnung bezahlen? Und was tut Brüssel für uns?

Von der Leyen weicht diesen unangenehmen Fragen aus. Sie flüchtet in die hohe Politik – und attackiert erstmal Kremlchef Wladimir Putin. Der führe einen „Energiekrieg“ gegen Europa und manipuliere den Markt. Nur deshalb gebe es Probleme. Eigene Versäumnisse räumt sie nicht ein.

Dabei diskutiert die EU schon seit einem Jahr über die explodierenden Gas- und Strompreise. Die EU-Kommission habe viel zu spät auf die explodierenden Preise reagiert, klagt Ratspräsident Charles Michel. „Wir haben den Sommer verschlafen“, kritisiert sogar der Chef der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber, ein Parteifreund.

140 Mrd. Euro “Übergewinn”

Doch nun soll plötzlich alles ganz schnell gehen. Die geplante Abschöpfung der Gewinne von Stromerzeugern werde den Mitgliedstaaten “mehr als 140 Milliarden Euro einbringen”, sagt die Kommissionspräsidentin. Das Geld werde “denjenigen zugute kommen, die es am meisten brauchen“.

Wie das gehen soll, bleibt offen. Das müssen die EU-Energieminister auf einer Krisensitzung Ende September entscheiden. Das letzte Treffen am vergangenen Freitag war ohne greifbare Ergebnisse zu Ende gegangen.

Danach hatte von der Leyen ihre radikalste Idee – einen Preisdeckel für russisches Gas – fallen lassen. Er fand keine Mehrheit. Wahrscheinlich ist es auch besser so – denn das hätte die Energiekrise noch mehr verschärft…

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Watchlist

Wie geht es nach dem Machtwechsel in Schweden weiter? Drei Tage nach der umkämpften Parlamentswahl hat sich Ministerpräsidentin Magdalena Andersson geschlagen gegeben. Das konservativ-rechte Lager ihres Herausforderers Ulf Kristersson habe bei der Wahl am Sonntag eine knappe Mehrheit erhalten, stellte die 55 Jahre alte Sozialdemokratin fest. Ob sich die vier Parteien aus Kristerssons Block auf eine Regierungszusammenarbeit einigen können, ist offen. 

Was fehlt

Das Veto Ungarns. Anders als angekündigt, hat das Land doch der Verlängerung von EU-Sanktionen gegen Russland zugestimmt. Dabei geht es um Strafmaßnahmen gegen mehr als 1200 Personen. Sie sehen vor, die Vermögenswerte der Betroffenen einzufrieren und sie nicht mehr in die EU einreisen zu lassen. Ungarn wollte ursprünglich drei russische Oligarchen streichen lassen, lenkte dann aber doch ein.