Alibi Europa

Kanzlerin Merkel ist außenpolitisch in die Defensive geraten. Weil sie einer G-20-Erklärung zur Syrien-Krise zunächst nicht zustimmte, wirft ihr die Opposition Prinzipienlosigkeit und Versagen vor. Merkel kontert, sie habe eine gemeinsame Haltung aller EU-Staaten abwarten wollen – doch das ist ein schwaches Alibi.

Langsam wird es peinlich für die angeblich so mächtige Merkel. Schon in Libyen und im Mali hat sie sich von Frankreich und den USA vorführen lassen. Merkel hatte keine klare Linie – und geriet ins Abseits.

Dasselbe hat sich nun in Syrien wiederholt – ausgerechnet in der heißen Phase des Wahlkampfs.

Die USA, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien unterzeichneten beim G-20-Treffen in Sankt Petersburg eine Erklärung, die eine entschlossene Reaktion auf den Chemiewaffeneinsatz fordert.

Deutschland stand isoliert am Rande und schwenkte erst einen Tag später auf die Linie des Westens ein.

Man habe eine gemeinsame Haltung der EU-28 abwarten wollen, die sich einen Tag später in Vilnius trafen, heißt es nun in Berlin. Doch das ist bloß ein Alibi. Die Fakten sprechen dagegen.

Denn die EU war in Sankt-Petersburg würdig vertreten: Durch Kommissionschef Barroso und Ratspräsident Van Rompuy. Wenn, dann wäre es deren, und nicht Merkels Aufgabe gewesen, zu bremsen.

Das haben sie aber nicht getan. Frankreich und Großbritannien im Nachhinein “Egoismus” vorzuwerfen, wie Merkel es auf einer Wahlkampf-Veranstaltung tat, ist deshalb nichts anderes als – Wahlkampf.

Noch weniger zieht ihr Argument zum Außenminister-Treffen in Vilnius. Das war nämlich nur informell, es war kein EU-Gipfel, und dementsprechend gab es dort auch keine bindenden Beschlüsse.

Für die EU-interne Abstimmung vor Ort war übrigens die EU-Außenbeauftragte Ashton zuständig, nicht Merkel oder ihr Chefdiplomat Westerwelle.

Zudem haben weder Westerwelle noch Merkel kund getan, dass sie sich um eine gemeinsame Haltung der EU bemühen wollten. In Brüssel war und ist davon nichts bekannt – im Gegenteil: Bisher war Merkel eher für ihre Alleingänge gefürchtet.

Der letzte große Fall war der Solarstreit mit China, wo Merkel sogar eine Koalition gegen Brüssel organisierte. In der Eurokrise kungelt die Kanzlerin mit Holland und Finnland – zur Not auch gegen den Rest der Welt.

Mag sein, dass ihr der Schlingerkurs in Sachen Syrien bei den Wählern nicht schadet. Denn die meisten Deutschen sind (wie der Autor dieses Blogs) gegen eine Intervention in Syrien.

Doch außen- und europapolitisch hat Merkel wieder einigen Schaden angerichtet. Sie hat Deutschland geschwächt, Frankreich gestärkt und die EU für die Innenpolitik instrumentalisiert.

Einen Nutzen hätte dies nur, wenn sich Berlin künftig tatsächlich um eine gemeinsame EU-Haltung bemühen würde – auch in der Eurokrise und sogar dann, wenn es um eigene Interessen geht (z.B. bei deutschen Waffenlieferungen).

Doch das ist wohl nur ein schöner Traum…

Siehe zu diesem Thema auch “Die Unberechenbare”