Vom Ankläger zum Komplizen
Die EU-Kommission präsentiert sich gern als Wächterin über die Grundrechte und den Rechtsstaat in EUropa. Bei Polen drohte sie sogar mit dem Entzug der Stimmrechte. Doch dann passierte – nichts. Der Ankläger aus Brüssel mutierte sogar zum Komplizen.
Besonders deutlich zeigt sich dies am Streit um Katalonien. Obwohl mittlerweile sogar Minister und Europaabgeordnete Zweifel am spanischen Verfahren gegen die Separatisten und ihren Führer Puigdemont äußern, drückt Brüssel beide Augen zu.
Bei einer Pressekonferenz weigerte sich der Chefsprecher von Kommissionspräsident Juncker sogar, auf die Kritik des belgischen Innenminister Jambon am Vorgehen der spanischen Justiz gegen Puigdemont einzugehen.
Wochenlang hat die EU-Kommission in diesem Fall Politikverweigerung betrieben – und ihre Rolle als “Hüterin der Verträge” und Streitschlichterin aufgegeben. Nun betreibt sie sogar Kommunikationsverweigerung.
Ganz ähnlich geht sie im Fall von Malta vor. Auch hier fordern Europaabgeordnete ein schärferes Vorgehen gegen das EU-Mitglied, nachdem die Bloggerin D. Galizia ermordet worden war.
Malta gilt nicht nur als Steuerparadies, sondern auch als ein Staat, in dem Rechtsstaat und Meinungsfreiheit nicht mehr gewährleistet sind. Doch Juncker und seine “politische Kommission” halten sich heraus.
Nur gegen Ungarn und Polen ist die Kommission tatsächlich vorgegangen. Vor der Sommerpause drohte Brüssel der rechten Regierung in Warschau sogar mit einem Entzug der Stimmrechte im Ministerrat.
Die “Nuklearoption” könne sogar während der Sommerpause gezogen werden, tönte Junckers Vize Timmermans. Doch dann kam – nichts. Polen war nicht einmal Thema beim letzten EU-Gipfel.
Nun können sich die Regierenden in Warschau, die Justiz und Medien an die Leine legen, sogar auf die Untätigkeit der EU-Kommission in Spanien und Malta berufen.
Juncker liefert mit seinem Schweigen allen autoritären Regierungen innerhalb und außerhalb der EU eine Steilvorlage. Der Ankläger ist – nolens volens? – zum Komplizen geworden…
Baer
7. November 2017 @ 08:37
Alles was derzeit politisch geschieht ist nur der Vorgeschmack auf ein zentralistischen EU Regierung.
Da kann ich nur sagen „so will ich es nicht „!
Peter Nemschak
6. November 2017 @ 16:01
Wenn die spanische Justiz nicht europäischen Vorstellungen entspricht, tut sie dies nicht erst seit Puigdemont. Offenbar war der Standard der spanischen Justiz bisher akzeptabel. Daher sollte man aus einer Rechtssache keine politische machen.
ebo
6. November 2017 @ 16:04
Der Artikel 155 wird zum ersten Mal angewandt. Es ist eine historische Zäsur – nicht nur für Spanien.
Peter Nemschak
6. November 2017 @ 16:20
Den Artikel 155 gab es seit eh und je. Ob er je angewandt wurde, tut nichts zur Sache. Niemand hat sich an seiner Existenz gestoßen. Jetzt einmal wittern jene Morgenluft, welche den Fall Puigdemont zum Anlass nehmen, die gesellschaftliche Ordnung Spaniens in Frage zu stellen. Das hätten sie schon längst tun können, wenn es ihnen um diese gegangen wäre. Bei den nächsten Wahlen in Katalonien sollen die Wähler ihren Willen kundtun. Auch in Spanien werden wieder Wahlen statt finden. Die EU soll sich gefälligst nicht einmischen und von den Streitparteien ja nicht instrumentalisieren lassen.