Charmeoffensive oder Kurswechsel? (Update 23.6.11)

Überraschende Einsicht: in Griechenland scheint öfter die Sonne als in Deutschland!

Wenige Stunden vor der entscheidenden Vertrauensabstimmung über den Sparkurs in Griechenland kommen unerhörte Signale aus Brüssel und Berlin. Kommissionschef Barroso möchte plötzlich Finanzmittel aus dem EU-Budget freigeben, um dem von Rezession und Pleite bedrohten Staat auf die Beine zu helfen. Liberalenchef Verhofstadt fordert im Europaparlament einen Marshallplan für Griechenland.

Selbst der sonst so zugeknöpfte Bundesfinanzminister Schäuble gibt sich großzügig und empfiehlt den Griechen, in den Solarstrom zu investieren – das sei schließlich eine wachstumsträchtige Technologie der Zukunft. Außerdem scheine am Mittelmeer die Sonne auch viel mehr als in Deutschland, so Schäuble treuherzig…

Auffällig, um nicht zu sagen suspekt, ist die plötzliche Häufung wohlmeinender und scheinbar großzügiger Vorschläge. Noch vor zwei Wochen standen Sozialdemokraten, Grüne und Linke im Europaparlament allein mit ihrer Forderung nach Wachstumshilfen und Konjunkturprogrammen; ein Appell für eine Richtungsänderung verhallte ungehört.

Noch am Montag forderten die EU-Finanzminister ultimativ ein neues Spar- und Privatisierungsprogramm von Papandreou – von einem Marschallplan war keine Rede. im Gegenteil: Zum ersten Mal ließen die Minister durchblicken, dass sie Griechenland pleite gehen lassen würden, wenn die Regierung in Athen nicht spurt!

Und nun haben die Europäer plötzlich ein Herz für Griechenland entdeckt!?

So drängt sich der Eindruck auf, dass die EU-Politiker eine Charmeoffensive starten, um dem griechischen Volk – und den Abgeordneten – die Zustimmung zu den Vorgaben aus Brüssel schmackhaft zu machen. Vielleicht bietet sich aber auch die Chance für einen echten Kurswechsel.

Möglicherweise haben einige Verantwortliche erkannt, dass Sparen, Streichen und Privatisieren allein Griechenland nicht auf die Beine helfen, sondern das Land endgültig ruinieren. Verhofstadt vertritt diese Meinung schon lange, Barroso hingegen stand bisher ganz unter dem Eindruck des harten deutsches Kurses, den Schäuble nun aufzuweichen scheint…

Der Lackmustest dürfte beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag kommen. Wenn Papandreou dann noch im Amt sein sollte, können die EU-Politiker beweisen, dass sie es ernst meinen… 

Nachtrag 23.6.11

Wie zu erwarten war, lehnt die Bundesregierung Barrosos Vorschlag ab. Im Europaparlament zeichnet sich hingegen breite Zustimmung ab. In Brüssel hat tatsächlich ein Umdenken begonnen, doch in Berlin gibt man sich weiter unbeugsam (und unbelehrbar). 

 



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